[8] "… Der Senat kann über das Ablehnungsgesuch trotz Aussetzung des Verfahrens entscheiden, weil es sich dabei nicht um eine Entscheidung in der Hauptsache, sondern um eine Nebenentscheidung handelt (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 249 Rn 9)."

[9] 1. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet gem. § 42 Abs. 2 ZPO nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln (BVerfG, BVerfGE 88, 17, 22 f. = NJW 1993, 2230; BGH NJW-RR 2013, 1211; NJW 2012, 1890; NJW-RR 2003, 281). Als Umstände in diesem Sinne kommen dabei nur objektive Gründe in Betracht, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit parteiisch gegenüber (vgl. BGH BGH-Report 2005, 1350 = BeckRS 2005, 02127).

[10] 2. Nach diesen Maßstäben liegen Ablehnungsgründe nicht vor. Es liegen keine Umstände vor, die den Anschein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit begründen.

[11] a) Die Teilnahme eines Richters an Seminaren zu aktuellen Rechtsfragen stellt keinen Befangenheitsgrund dar. Die Teilnahme von Richtern am BGH und anderen Gerichten an wissenschaftlichen Veranstaltungen ist üblich und allgemein bekannt. Sie dient der Darstellung und Vermittlung der Rspr. der Gerichte und dem Austausch von Meinungen, auch in Bezug auf sich neu stellende Probleme und deren wissenschaftlichen Hintergrund.

Ein solcher wissenschaftlicher Austausch ist für ein oberstes Bundesgericht unverzichtbar. Damit geht einher, dass die Teilnahme von Richtern an solchen Tagungen und Seminaren und ihre dortigen Meinungsbekundungen grds. nicht geeignet sind, ihre Befangenheit zu begründen (BGH NJW 2002, 2396; vgl. auch BVerfGE 95, 189, 191 = NJW 1997, 1500).

[12] Das stellt sich im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht der Bekl. nicht anders dar, weil es sich um ein beim Senat noch anhängiges Verfahren handelte, zu dem der abgelehnte Richter vorgetragen hat. Denn dieser Rechtsstreit ist durch Beschl. v. 9.4.2015 ausgesetzt, weil der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen zur Auslegung der Richtlinie 93/42/EWG des Rates v. 14.6.1993 über Medizinprodukte vorgelegt hat. Das unterbricht zwar nicht die Anhängigkeit des Rechtsstreits beim BGH (§§ 148, 249 ZPO), führt aber zu einer Zäsur des Verfahrens durch die Vorlage der Sache an den Gerichtshof. Diese Entscheidung über die Aussetzung und Vorlage ist eine unanfechtbare Zwischenentscheidung, die mit Gründen versehen und veröffentlicht ist und die daher ohne Weiteres im wissenschaftlichen Diskurs besprochen und diskutiert werden kann, ohne sich damit als Mitglied des entsprechenden Spruchkörpers dem Vorwurf der Befangenheit auszusetzen.

[13] Ist die Entscheidung des BGH mit Gründen veröffentlicht, begegnet es auch keinen Bedenken, im Vortragsskript einer solchen Tagung das Aktenzeichen, unter dem der Beschluss auf der Internetseite des BGH oder den einschlägigen Medien aufgefunden werden kann, zu nennen.

[14] b) Ohne Erfolg stützt die Bekl. ihr Ablehnungsgesuch darauf, dass der abgelehnte Richter in seinem Vortrag das vom französischen Hersteller verwendete Industriesilikon als “krebserregend’ bezeichnet hat. Diese Frage ist zwar unter den Parteien des Rechtsstreits streitig. Der Richter hat aber seine Aussage sofort dahin korrigiert, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Industriesilikon krebserregende Wirkung besitze. Zudem hat das BG zu dieser Frage keine Feststellungen getroffen, so dass für das Revisionsverfahren davon auszugehen ist, dass das minderwertige Industriesilikon auch krebserregende Wirkung hat. Nur auf dieser Basis hat der Senat über die Sache zu entscheiden.

[15] c) Die Bekl. kann ihr Ablehnungsgesuch auch nicht mit Erfolg auf die im freien Vortrag verwandte Formulierung “Vorbeigehen und Gucken reicht eventuell nicht aus’ stützen. Genau diese Problematik ist Teil der Vorlage an den EuGH (NJW 2015, 2737 Fragen 2 und 3). Es stellt sich dabei einerseits die Frage, ob nur unangemeldete Überprüfungen und Untersuchungen die Anforderungen der Richtlinie erfüllen oder nicht. Andererseits geht es um die Intensität der Überprüfungspflicht, also die Frage, ob auch das Produkt selbst der Überprüfung und Untersuchung unterliegt, oder nur der Herstellungsprozess als solcher. Eine Aussage, die Bekl. habe ihre Überprüfungen in dieser oder jener Art und Weise vorgenommen, ist mit dieser Äußerung nicht verbunden.

[16] Die in diesem Zusammenhang vom abgelehnten Richter erzählte Anekdote aus der Tätigkeit als Werksstudent diente ersichtlich der Auflockerung des Vortrags. Im Kern trifft auch diese Äußerung eine der für den Senat entscheidenden Vorfragen, nämlich ob die Richtlinie unangemeldete Kontrollen erfordert, um auf diese Weise die Überprüfung und Kontroll...

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