Der gerichtlich bestellte Sachverständige entscheidet Prozesse. Diese Aussage wird häufig dazu verwendet, dem Mandanten zu erklären, weshalb das Urteil nicht zu seinen Gunsten ausgefallen ist. Bevor diese Erklärung achselzuckend abgegeben wird, sollte man sich jedoch fragen, ob bei dem "Beweis durch Sachverständige" die unter dieser Überschrift in der ZPO genannten Regeln eingehalten worden sind. Das gilt nicht nur hinsichtlich des Gerichts, sondern auch hinsichtlich des Sachverständigen. Denn wenn etwa die vom Gericht formulierten Beweisfragen kommentarlos hingenommen werden oder die Gelegenheit, die Feststellungen des Sachverständigen kritisch zu hinterfragen, nicht genutzt wird, braucht man sich nicht zu wundern, wenn das Ergebnis des Prozesses nicht den Erwartungen des Mandanten entspricht. Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass in diesem Bereich besonders viel "schief" läuft oder quasi jedes durch einen Sachverständigen gewonnene Beweisergebnis angreifbar wäre. Ganz im Gegenteil. Meist werden die Beweisfragen durch das Gericht zutreffend formuliert und der "richtige" Sachverständige ausgewählt. Auch ist das Gutachten regelmäßig vollständig, widerspruchsfrei und überzeugend. Es ist dann nicht zu beanstanden, dass in einem solchen Fall der Sachverständige den Prozess entscheidet. In allen anderen Fällen gilt es aber, eine vielleicht falsche Entscheidung zu verhindern.

Es sollte daher schon bei der Wahl des Sachverständigen genau hingeschaut werden. Warum wird etwa von § 404 Abs. 4 ZPO so gut wie nie Gebrauch gemacht? Danach hat das Gericht einen von den Parteien bestimmten Sachverständigen auszuwählen. Wenn also das Gericht – was in Verkehrssachen sehr beliebt ist – seinen "Haus- und Hofsachverständigen" benennen will, haben die Parteien die Möglichkeit, im positiven Sinne auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Ein ausgewiesener Spezialist im Bereich der Unfallrekonstruktion muss nicht immer der geeignete Sachverständige für die Ermittlung eines Fahrzeugmangels sein.

Außer bei einfachen Fragestellungen sollte meines Erachtens darauf gedrängt werden, dass der Sachverständige ein schriftliches Gutachten erstattet. Zwar besteht hierauf kein durchsetzbarer Anspruch. Gleichwohl wird sich ein Gericht einem entsprechenden, übereinstimmend geäußerten Wunsch der Parteien nur schwer entziehen können. Denn was wäre sonst die Folge? Der Sachverständige erstattet ein mündliches Gutachten, auf das die Prozessbevollmächtigten möglicherweise nicht gleich ordnungsgemäß reagieren können, mit der Konsequenz, dass sie ein Schriftsatzrecht oder die Anberaumung eines neuen Termins beantragen müssen. Da die Ablehnung eines solchen Antrags regelmäßig den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzen würde, kann es schnell passieren, dass der Sachverständige ein zweites Mal "antreten" muss. Die vermeintliche Beschleunigung des Verfahrens durch die Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens ist dann schnell dahin.

Manchmal liegt es auch am Sachverständigen selbst, dass das Verfahren unnötig verzögert wird. Warum sind manche Sachverständige nicht in der Lage, ihr Gutachten so zu formulieren, dass es auch der Laie – für den es bestimmt ist – versteht? Sicher, der Verkehrsjurist muss technische und medizinische (Grund-)Kenntnisse haben, um bei einem Verkehrsunfall mit Personenschaden, bei dem die Haftung streitig ist und die unfallbedingten Verletzungsfolgen ungeklärt sind, das für seinen Mandanten bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Dieses Ergebnis ist oft nur dann zu erreichen, wenn er in der Lage ist, eingeholte Gutachten kritisch zu hinterfragen und für den Mandanten vermeintlich negative Aussagen durch entsprechende Nachfragen richtig zu stellen. Besser wäre es jedoch, wenn der Sachverständige von vorneherein sein Gutachten so gestaltet, dass die Anknüpfungstatsachen klar benannt, die Annahme von Variablen (z.B. Reaktionszeit, Verzögerung etc.) deutlich gekennzeichnet und das darauf aufbauende Ergebnis nachvollziehbar formuliert werden würde.

Nur wenn der Sachverständige diese Vorgaben erfüllt, wird er den Juristen helfen, einen ihnen unbekannten Sachverhalt richtig zu erfassen und das Recht richtig anzuwenden. Und wenn das Gericht ihn so leitet, wie es das Gesetz vorsieht, wird der Sachverständige zum Richtergehilfen im besten Sinne.

Autor: Martin Diebold

RA, FA für Verkehrsrecht Martin Diebold, Tübingen

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