"… II. Die Rechtsbeschwerde des Betr. ist zuzulassen, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG)."

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidung zu berücksichtigen (BVerfGE 22, 267, 274; BGH NStZ-RR 2003, 49; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 Rn 67, 94 ff.). Im Verfahren über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist eine Verletzung dieses Anspruchs mit der Verfahrensrüge geltend zu machen (st. Rspr. des Senats, zuletzt etwa Beschl. v. 5.7.2017 – 2 Rb 10 Ss 407/17; Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 16a m.w.N.). Der dazu erforderliche Tatsachenvortrag (§§ 79 Abs. 3 S. 1, 80 Abs. 3 S. 3 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO) muss das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzen, das Vorliegen des behaupteten Rechtsverstoßes ohne Rückgriff auf andere Unterlagen zu prüfen (st. Rspr. des BGH, zuletzt Beschl. v. 4.10.2017 – 3 StR 145/17, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 344 Rn 21 m.w.N.). Bei der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist deshalb auch Vortrag zu der Entscheidungserheblichkeit des vom Gericht übergangenen Vortrags erforderlich. Es muss deshalb grds. dargelegt werden, welcher Sachvortrag gem. § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG in die Hauptverhandlung einzuführen gewesen wäre und infolge der Verwerfung des Einspruchs unberücksichtigt geblieben ist (OLG Düsseldorf VRS 120, 343; OLG Brandenburg VRS 127, 38; a.A. OLG Oldenburg NStZ-RR 2011, 383). Beruft sich der Betr. darauf, dass ihm aufgrund verwehrter Einsichtnahme in bestimmte Unterlagen – hier die Bedienungsanleitung des Messgeräts – entsprechender Vortrag nicht möglich ist, muss er sich, damit die Ausnahme von der an sich nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO bestehenden Vortragsfrist gerechtfertigt und belegt wird, nach der in der obergerichtlichen Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung (OLG Celle VRS 124, 333; NStZ 2014, 526; OLG Celle, Beschl. v. 21.4.2016 – 2 Ss (OWi) 82/16; OLG Braunschweig NStZ-RR 2014, 354; OLG Hamm, Beschl. v. 14.11.2012 – III-1 RBs 105/12; a.A. OLG Jena NJW 2016, 1457) jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Unterlagen bemühen und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht auch dartun.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann allerdings auch dadurch verletzt werden, dass das Gericht prozessual erhebliches Vorbringen übergeht, bei dessen Berücksichtigung die getroffene Entscheidung nicht hätte ergehen dürfen (OLG Dresden NZV 2013, 613 – Nichtbescheidung eines Antrags auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen; KG NStZ 2011, 584; OLG Brandenburg NZV 2003, 432; OLG Köln VRS 96, 451 – jeweils zur Nichtberücksichtigung von Entschuldigungsvorbringen). Da es in diesen Fällen für die Entscheidung nicht auf den Tatvorwurf ankommt, ist Vortrag dazu nicht erforderlich (zum Ganzen Seitz/Bauer, >a.aO., § 80 Rn 16c; KK/Hadamitzky, OWiG, 5. Aufl., § 80 Rn 41e).

2. Nach diesen Maßstäben ist die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegend dargetan. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner abschließenden Entscheidung der in der obergerichtlichen Entscheidung umstrittenen Frage, ob die Befreiung des Betr. von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen auch nach Verlegung des Hauptverhandlungstermins fort gilt (bejahend OLG Karlsruhe NStZ-RR 2015, 258; OLG Bamberg NStZ-RR 2017, 25; verneinend OLG Jena VRS 117, 342; KG VRS 99, 372), weil dies auf die Entscheidung keinen Einfluss hat.

a) Auf der Grundlage der verneinenden Auffassung liegt das Übergehen erheblichen Vorbringens in der Nichtbescheidung des im Schriftsatz der Verteidigerin vom 22.9.2017 erneut gestellten Entbindungsantrags (OLG Dresden a.a.O.), wobei die für die Stellung des Entbindungsantrags durch den Verteidiger erforderliche besondere Vertretungsmacht vorliegend dargelegt (dazu OLG Hamm, Beschl. v. 13.7.2011 – III-4 RBs 193/11; OLG Köln NStZ 2002, 268) und durch die dem AG vorgelegte Vollmacht nachgewiesen wurde.

b) Die auch vom Senat vertretene Auffassung knüpft demgegenüber an die gesetzliche Formulierung in § 73 Abs. 1 und 2 OWiG an, wonach Bezugspunkt der Anwesenheitspflicht des Betr. und der Befreiung hiervon nicht ein bestimmter einzelner Termin, sondern die Hauptverhandlung ist. Wegen dieser gesetzlichen Vorgabe ist es nach der Auffassung des Senats zunächst unerheblich, dass die Befreiung durch das AG vorliegend terminbezogen erteilt wurde. Danach war der Betr. durch den Beschl. v. 10.7.2017 auch von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im verlegten Hauptverhandlungstermin entbunden.

Davon ausgehend liegt der Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör darin, dass infolge der unter Verstoß gegen § 74 Abs. 1 S. 1 OWiG erfolgten Einspruchsverwerfung der am Morgen des 25.9.2017 gestellte Aussetzungsantrag des Betr. unberücksichtigt geblieben ist, dem ...

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