Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren: Anforderungen an die Feststellung einer vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung. Verfahrensrüge im Zusammenhang mit einem abgelehnten Beweisantrag auf Einsichtnahme der Bedienungsanleitung einer (hier: stationären) Messstelle

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Feststellung, dass der Betroffene vor der Messstelle bereits mehrere die Geschwindigkeit begrenzende Verkehrsschilder passiert hat, ist zur Begründung vorsätzlicher Begehungsweise regelmäßig nicht ausreichend, weil nicht auszuschließen ist, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbegrenzungen beachtet und nur die letzte (vor der Messung) missachtet hat.

2. Es wird daran festgehalten (OLG Braunschweig, Beschl. v. 07.02.2011, Ss (OWiZ) 225/10; juris), dass eine vorsätzliche Begehungsweise nicht angenommen werden kann, wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung weniger als 40% beträgt und weitere Tatsachen, aus denen auf Vorsatz geschlossen werden kann, nicht feststellbar sind.

3. Wird im Zusammenhang mit durch das Gericht entgegen einem Antrag nicht zur Verfügung gestellten Unterlagen die Versagung des rechtlichen Gehörs gerügt, muss die Rechtsbeschwerde substantiiert darlegen, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung in der Hauptverhandlung zu seiner Verteidigung vorgebracht hätte und welche Anstrengungen bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge unternommen wurden, um die Unterlagen zu erhalten (Anschluss an OLG Celle, Beschl. v. 28.03.2013 - 311 SsRs 9/13). Im Zusammenhang mit einem abgelehnten Beweisantrag auf Einsichtnahme der Bedienungsanleitung gilt dies bei einer stationären Messstelle um so mehr, weil dort nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass nach der Ersteinrichtung und der regelmäßigen zu wiederholenden Eichung weitere Bedienungsschritte notwendig werden, die die erzielten Messergebnisse verfälschen könnten.

 

Normenkette

StVO § 3; StPO §§ 261, 344 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Hann. Münden (Entscheidung vom 14.02.2013)

 

Tenor

1. Auf den Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Hann. Münden vom 14. Februar 2013 zugelassen.

2. Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

3. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Schuldspruch aus dem genannten Urteil dahingehend abgeändert, dass sich der Betroffene statt einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung schuldig gemacht hat, und das genannte Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Betroffene zu einer Geldbuße in Höhe von 120,00 € verurteilt wird.

4. Die weitergehende Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG als unbegründet verworfen.

5. Der Betroffene trägt die Kosten seiner Rechtsbeschwerde; jedoch wird die Rechtsbeschwerdegebühr um 1/2 ermäßigt. Im selben Umfang werden die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hann. Münden hat den Betroffenen durch das angefochtene Urteil wegen einer auf der BAB 7 ("Laubacher Berg") begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 33 km/h) zu einer Geldbuße von 240,- € verurteilt. Dabei hat das Amtsgericht angenommen, dass der Betroffene vorsätzlich gehandelt hat und hat dies wie folgt begründet:

"Der Betroffene handelte angesichts der Beschilderung vor der Messstelle hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung vorsätzlich. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ordnungsgemäß aufgestellte Verkehrszeichen von den Verkehrsteilnehmern auch wahrgenommen werden (vgl. OLG Celle, NZV 2011, 618). Da der Betroffene vor der Messstelle bereits 11 die Geschwindigkeit begrenzende Schilder passiert hatte (drei große Schilderbrücken auf einer Strecke von drei Kilometern, die vierte Schilderbrücke zum Zeitpunkt der Messung praktisch direkt vor Augen!), ist es schlechterdings nicht vorstellbar, dass ein Kraftfahrzeugführer derartig viele, die Geschwindigkeit begrenzende Schilder übersieht. Ein Kraftfahrer handelt bedingt vorsätzlich bzgl. einer Geschwindigkeitsüberschreitung, wenn er die Geschwindigkeitsbegrenzung wahrnimmt und es unterlässt durch ein winziges Senken des Blickes auf den Tacho zu schauen und die Geschwindigkeit zu kontrollieren und ggfs. herabzusetzen (vgl. OLG Braunschweig, Ss (OWi) 28/06, m. w. N.), jedenfalls dann, wenn die Geschwindigkeitsbeschränkung durch so viele Schilder über eine Strecke von ca. 4 Kilometern wiederholt wird und der Betroffene also genügend Zeit vor der Messstelle hatte, seine Geschwindigkeit zu kontrollieren. Das hat er nicht getan und deshalb zumindest billigend in Kauf genommen, dass er schneller fährt als erlaubt."

Der Betroffene hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen; dazu rügt er zum einen, dass das Amtsger...

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