1. Die erhebliche Pflichtverletzung

§ 323 Abs. 5 S. 2 BGB setzt voraus, dass zur Wirksamkeit eines Rücktritts eine erhebliche Pflichtverletzung des Schuldners vorliegen muss (§§ 437 Nr. 3, 323 Abs. 1, 2 BGB). Der im Gesetz nicht definierte Begriff der Unerheblichkeit wird aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung der Umstände des Einzelfalls gewonnen (vgl. OLG Köln NJW 2007, 1694). In einer Leitentscheidung v. 28.5.2014 hat der BGH diesen Grundsatz aufgegriffen und für den Fall des behebbaren Mangels eine Unerheblichkeit dann angenommen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand den Betrag von 5 % des Kaufpreises nicht übersteigt (BGH NJW 2014, 3229). Maßgeblich für die Bewertung ist der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung (vgl. BGH NJW 2013, 1365 Rn 18; BGH NJW 2013, 2011, 2872 Rn 19).

2. Keine Automatik des Bruchs einer Beschaffenheitsvereinbarung für die Annahme der Erheblichkeit der Pflichtverletzung

Eine solch umfassende Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalles und insb. die Gewinnung einzelner Anhaltspunkte für die Erheblichkeit oder Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ist dann entbehrlich, wenn die Angabe zu den erlaubten Stickstoffwerten als Beschaffenheitsvereinbarung Vertragsinhalt geworden ist und der Verstoß gegen die Vereinbarung die Erheblichkeit der Pflichtverletzung indiziert. Der BGH hat zugrunde gelegt, dass ein Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung i.d.R. die Erheblichkeit der Pflichtverletzung indiziere (vgl. BGH NJW 2013, 1365 Rn 16; BGH NJW-RR 2010, 1289). Der Entscheidung des BGH v. 6.2.2013 (NJW 2013, 1365) lag ein Sacherhalt zugrunde, bei dem sich die Beschaffenheitsvereinbarung auf einen nicht behebbaren Umstand, das Fehlen der Fabrikneuheit, bezog. Ob bei einer Behebbarkeit des Bruchs einer Beschaffenheit auch nur mit großer Indizwirkung von einer erheblichen Pflichtverletzung ausgegangen werden kann, erscheint dann zweifelhaft, wenn der Aufwand zur Herbeiführung der Beschaffenheit gering ist und lediglich eine einfache Beschaffenheitsvereinbarung – ohne eine bestimmte, mit Nachdruck verfolgte Vereinbarung – getroffen worden ist (vgl. eingehend Reinking/Eggert, Der Autokauf, Rn 627 f., Rn 1057–1058d).

Die Beschaffenheitsangabe, dass die Euro-5-Norm erfüllt ist und der Grenzwert für Stickoxide eingehalten wird, ist nur dann wirksam vereinbart, wenn dies in vertraglich bindender Form geschehen ist. Da ein Käufer – jedenfalls vor der Lektüre von Publikationen zum Abgasskandal – nicht über detaillierte Kenntnis zu Stickstoffwerten und Prüfmethoden verfügte, war eine Einigung über diese Beschaffenheit nicht in ausdrücklicher Form anzunehmen. Konkludent soll allerdings eine Beschaffenheitsvereinbarung hinsichtlich der Einhaltung der Grenzwerte dann getroffen worden sein, wenn im Angebot des Händlers die Angabe Euro-5 auftaucht (vgl. Reinking/Eggert, a.a.O., Rn 527e).

Dem Händler ist zu raten, das Zustandekommen einer Beschaffenheitsvereinbarung zu bestreiten, um der Gefahr der Indizwirkung der gebrochenen Beschaffenheitsvereinbarung für die Erheblichkeit der Pflichtverletzung zu entgehen. Haftungsfrei wird er dadurch nicht, weil die Abschaltvorrichtung einen Sachmangel darstellt (vgl. LG Bochum, Urt. v. 16.3.2016, zfs 2017, 382).

3. Sonstige Indizien für die Erheblichkeit der Pflichtverletzung

Weder die Gefahr des Verlustes der Typengenehmigung bei Nichtteilnahme an der Rückrufaktion noch die von dem KBA bejahte Notwendigkeit der Durchführung der Rückrufaktion sprechen für die Erheblichkeit der Pflichtverletzung.

Die Manipulation von Stickstoffemissionen auf Prüfständen mit der Folge der Verringerung des Abgasausstoßes wurde von dem KBA zum Anlass für einen Rückruf von insgesamt 2,4 Millionen Fahrzeugen in Deutschland genommen. Da die Sicherheit der Fahrzeuge nicht beeinträchtigt ist, kam ein deliktisch begründeter Rückruf nicht in Betracht. Grundlage war vielmehr der öffentlich-rechtliche Rückruf gem. § 25 Abs. 2 der EG-Fahrzeuggenehmigungs-VO, der das KBA zu der aufgrund dieser VO erteilten Typengenehmigung ermächtigte, Nebenbestimmungen anzuordnen. Diese waren die Kostenlosigkeit der Rückrufaktion für die Käufer und für den Fall deren Nichtteilnahme an der Rückrufaktion der Entzug der Zulassung (vgl. eingehend Lüftenegger, DAR 2016, 122 ff.).

Da es für die betroffenen Käufer zumutbar war, zum Erhalt von Typengenehmigungen und Zulassungen an der Rückrufaktion teilzunehmen und hierfür ein geringer Zeitbedarf bestand, lässt sich daraus kein Argument für die Erheblichkeit der Pflichtverletzung ableiten. Da die Intensität der Nachbesserungsmaßnahme für jedes Fahrzeug gesondert zu bewerten ist, ist auch der Umfang der Rückrufaktion aller betroffenen Fahrzeuge nicht in die Bewertung einzubeziehen.

4. Notwendige Aufwendungen für die Nachbesserung des Prüfprogramms

Sollte auf einen Mangel einer Beschaffenheitsvereinbarung abgestellt werden, käme den Kosten der Nachbesserung nur eine geringe Bedeutung für die Beurteilung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung zu.

Ob bei einem angenommenen sonst...

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