VwVfG § 1 Abs. 4 § 41 Abs. 1 und 3 § 43 Abs. 1 S. 1; StVO § 1 § 39 § 41 § 45 Anlage 2 zu § 41 Abs. 1, lfd. Nr. 62 (Zeichen 283)

Leitsatz

Verkehrszeichen für den ruhenden Verkehr äußern ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht, wenn sie so aufgestellt oder angebracht sind, dass ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt und ungestörten Sichtverhältnissen während der Fahrt oder durch einfache Umschau beim Aussteigen ohne Weiteres erkennen kann, dass ein Gebot oder Verbot durch Verkehrszeichen verlautbart wurde. Zu einer Nachschau ist der Verkehrsteilnehmer nur verpflichtet, wenn hierfür nach den konkreten Umständen des Einzelfalls ein besonderer Anlass besteht.

BVerwG, Urt. v. 6.4.2016 – 3 C 10/15

Sachverhalt

Der Kl. wendet sich gegen die Auferlegung einer Gebühr für die Umsetzung eines Kfz. Er hatte dieses Fahrzeug im September 2010 in Berlin in einem Straßenabschnitt geparkt, wo wegen eines am nächsten Tag stattfindenden Straßenfestes durch vorübergehend angebrachte Verkehrszeichen ein absolutes Haltverbot (Zeichen 283) ausgeschildert war. Der Bekl. veranlasste die Umsetzung dieses Fahrzeugs durch ein Abschleppunternehmen und nahm den Kl. auf Zahlung einer Umsetzungsgebühr i.H.v. 125 EUR in Anspruch. Hiergegen wandte der Kl. u.a. ein, die Verkehrszeichen seien nicht mit einem raschen und beiläufigen Blick erkennbar gewesen; daher seien die Haltverbote nicht wirksam bekanntgemacht worden. Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das OVG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 7.5. 2015 – OVG 1 B 33.14, DAR 2015, 712 mit Anm. Koehl) ist von einer anlasslosen Nachschaupflicht ausgegangen und hat angenommen, dass das Haltverbot für den Kl. erkennbar gewesen wäre, wenn er dieser Nachschaupflicht genügt hätte. Es hat offen gelassen, in welcher Höhe und welcher Ausrichtung das Haltverbotszeichen angebracht war. Das BVerwG hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das OVG zurückverwiesen.

2 Aus den Gründen:

[9] "… II. Die Revision des Kl. hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das OVG (§ 144 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VwGO). Die von ihm bislang getroffenen tatsächlichen Feststellungen genügen nicht, um beurteilen zu können, ob das Haltverbot wirksam bekannt gemacht worden war und damit ein Verkehrsverstoß des Kl. vorlag, der den Bekl. zur Umsetzung des Kfz und im Anschluss daran zur Gebührenerhebung beim Kl. berechtigte (1.). Zwar verwirft das BG zu Recht den Einwand des Kl., das Haltverbot sei schon deshalb unwirksam, weil es von einem privaten Dritten und nicht durch eine Behörde angeordnet worden sei (2.). Doch stellt das Berufungsurteil Anforderungen an die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen im ruhenden Verkehr und an die Sorgfaltspflichten des Verkehrsteilnehmers, die nicht in jeder Hinsicht im Einklang mit Bundesrecht stehen (§ 137 Abs. 2 VwGO); zu Unrecht geht das BG von einer anlasslosen Nachschaupflicht des Verkehrsteilnehmers aus (3. und 4.). Damit erweist sich auch seine hierauf beruhende tatsächliche Feststellung nicht als tragfähig, das Haltverbot sei für den Kl. ohne Zweifel erkennbar gewesen (5.). Aus diesem Grund ist der erkennende Senat an einer abschließenden Entscheidung gehindert; es sind von der Vorinstanz noch ergänzende tatsächliche Feststellungen zur Sichtbarkeit der hier maßgeblichen Haltverbotszeichen zu treffen (6.)."

[10] 1. Rechtsgrundlage für die vom Bekl. erhobenen Benutzungsgebühren für die Umsetzung des Kfz sind nach den Feststellungen des BG zum maßgeblichen Landesrecht § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 und § 10 Abs. 2 Buchst. b des Berliner Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBetrG BE) i.V.m. § 1 der Berliner Gebührenordnung für die Benutzung polizeilicher Einrichtungen (Polizeibenutzungsgebührenordnung – PolBenGebO BE) sowie Tarifstelle 4.1 Buchst. a des als Anlage zu § 1 PolBenGebO BE erlassenen Gebührenverzeichnisses; danach fällt für die Umsetzung eines Fahrzeugs mit bis zu 3,5 t zulässigem Gesamtgewicht an einem Sonnabend eine Gebühr i.H.v. 125 EUR an. Die Umsetzung des Fahrzeugs erfolgte – wie das BG in Anwendung des Berliner Landesrechts weiter festgestellt hat – in unmittelbarer Ausführung einer Maßnahme gem. § 15 Abs. 1 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz – ASOG Bln). Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Umsetzung des Fahrzeugs und eine daran anknüpfende Gebührenerhebung ist danach, dass der Kl. beim Abstellen des Fahrzeugs gegen ein behördlich angeordnetes und durch Verkehrszeichen wirksam bekannt gemachtes Haltverbot verstoßen hat.

[11] 2. Nach den tatsächlichen Feststellungen des BG wurde die Aufstellung der Haltverbotszeichen (lfd. Nr. 62 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) vom Bekl. als Straßenverkehrsbehörde angeordnet und von dem privaten Veranstalter des Straßenfestes led...

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