Hinweis

"Sie haben in Ihrer Abfindungserklärung beim Schmerzensgeld einen immateriellen Vorbehalt erklärt mit folgendem Inhalt:" Vorbehalten bleiben weitere immaterielle Ansprüche für den Fall einer Verschlechterung gemäß BGH-Rechtsprechung (VersR 1980, 975), sogenannter immaterieller Vorbehalt.

Dieser Vorbehalt ist nicht ausreichend, weil er durch diese Formulierung die in Zukunft auftretenden Spätfolgen, d.h. auch alle zukünftigen Verschlechterungen und Komplikationen nicht berücksichtigt. Da aus diesem Grund nach Rücksprache mit unserem Mandanten dieser die Abfindungserklärung in der jetzigen Version nicht unterschreiben wird, bleiben zwei Möglichkeiten: Erstens: Sie vereinbaren mit uns ganz konkret einen Vorbehalt aller bei diesem Verletzungsbild befürchteter Spätfolgen, d.h. z.B. das Auftreten von Arthrose, das Auftreten einer Amputation, das Auftreten eines Rollstuhlrisikos etc., mit der Folge, dass im Falle des Eintritts dieser genannten typischen Spätfolgen über ein erneutes Schmerzensgeld verhandelt wird. Die zweite Möglichkeit besteht darin, bereits jetzt das Schmerzensgeld in Hinblick auf die zukünftig möglicherweise auftretenden Spätfolgen zu erhöhen. Wir schlagen vor, dass wir uns entweder telefonisch oder persönlich hinsichtlich der Problematik Schmerzensgeld und Spätfolgen noch einmal verständigen.“

 

Erläuterung:

Im Falle der Regulierung bei einem Personenschaden treten die Themen Schmerzensgeld und Spätfolgen häufig auf. Viele Anwälte glauben, wenn sie diesen immateriellen Vorbehalt gemäß der oben genannten BGH-Rechtsprechung in einer Abfindungserklärung formulieren, dass der Mandant für zukünftige Verschlechterungen im Gesundheitszustand weitere Schmerzensgeldzahlungen erhalten kann. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen.

Versicherer zitieren bei dem sogenannten immateriellen Vorbehalt jene Entscheidung des BGH von 1980, in der diese Grundsätze festgelegt wurden. In einer weiteren Entscheidung des BGH (zfs 2006, S. 381) hat dieser hinsichtlich der Vorhersehbarkeit von Spätfolgen dahingehend konkretisiert, dass nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen sei. Für die anwaltliche Regulierung heißt dies, dass alle theoretischen Möglichkeiten des Eintritts weiterer gesundheitlicher Verschlechterungen auch dann einzubeziehen sind, wenn ihr Eintritt in dem ganz konkreten Fall unwahrscheinlich ist. Dies stellt auch für den Anwalt eine erhebliche Haftungsfalle dar, denn oftmals glauben dieser und natürlich auch der Mandant, dass er durch den sogenannten immateriellen BGH-Vorbehalt für etwaige spätere Komplikationen und Spätfolgen abgesichert sei. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Der Mandant ist gerade nicht abgesichert. Ganz konkret heißt dies, dass nahezu fast alle Spätfolgen bei Verletzungen objektiv vorhersehbar sind.

In der Praxis gibt es zwei Möglichkeiten, wie Anwälte dieses Problem etwaiger Spätfolgen beim Schmerzensgeld lösen.

Variante 1 besteht darin, dass der Anwalt in die Abfindungserklärung ganz konkrete Schmerzensgeldvorbehalte mitaufnimmt, welche Spätfolgen bei genau diesem Verletzungsbild auftreten können, also z.B. Arthrose, Nekrose, Totalendoprothese, Rollstuhlpflicht, Versteifung des Sprunggelenks oder erneute Operationen etc. Wenn diese konkreten Spätfolgen genau bezogen auf dieses Verletzungsbild zukünftig auftreten, ist über das Schmerzensgeld erneut zu verhandeln.

Die zweite Variante ist, dass der Versicherer dazu gebracht wird, dass die etwaig eintretenden Spätfolgen bereits zum Zeitpunkt der Abfindungserklärung konkret durch eine deutliche Erhöhung mit in das Schmerzensgeld eingepreist werden.

Abschließend noch ein Tipp für die Regulierung: Jeder behandelnde Arzt sollte gefragt werden: "Welche gesundheitlichen Folgeschäden (Spätfolgen) sind vorhersehbar, obgleich sie sich zum heutigen Zeitpunkt noch nicht realisiert haben?" Genau dadurch erhalten der Anwalt und der Mandant die Information, mit welchen Spätfolgen der Mandant zukünftig rechnen und wogegen er absichern muss.

Autor: Michel Schah Sedi

RA Michel Schah Sedi, FA für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht, Mediator, Tessin

zfs 7/2017, S. 363

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