BGB § 249 Abs. 2 S. 1

Leitsatz

1. Vorgerichtliche Anwaltskosten nach einem Verkehrsunfall sind erstattungsfähige Schadenspositionen, wenn der Geschädigte schutzwürdig ist und die Tätigkeit des Anwalts aus der Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine besondere Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte zweckmäßig gewesen ist.

2. Ist aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten die Ersatzpflicht des Schädigers nach Grund und Höhe nicht zweifelhaft, darf der Geschädigte nur dann einen Anwalt einschalten, wenn er aufgrund eines Mangels an Geschäftsgewandtheit nicht die Geltendmachung des Schadens durchführen kann oder wenn die erste Anmeldung des Schadens nicht zur unverzüglichen Regulierung führt.

3. Ein einfach gelagerter Sachverhalt, der aus der Sicht des Geschädigten keine vernünftigen Zweifel begründet, dass der Schädiger oder der eintretende Haftpflichtversicherer der Ersatzpflicht nachkommen werde, ist jedenfalls bei einem Schadensumfang von mehreren tausend Euro und bei komplexen unübersichtlichen Verkehrsunfallsituationen nicht gegeben.

4. Eine Geschäftsgewandtheit des Geschädigten kann nicht mit der Begründung angenommen werden, dass er sich unternehmerisch betätigt. Entscheidend ist die Art des Unternehmens, so dass Geschäftsgewandtheit bei einer GmbH, bei Leasingunternehmen oder Autovermietungen angenommen werden kann.

(Leitsätze der Schriftleitung)

AG Zweibrücken, Urt. v. 18.6.2014 – 6 C 627/13

Sachverhalt

Der Kl. betreibt ein Transportunternehmen mit 17 Lkw, das sich aus einem Heizöl- und Containergeschäft sowie einem Transportunternehmen zusammensetzt. Eine Rechtsabteilung unterhält der Kl. nicht. Er ist Halter und Eigentümer einer Zugmaschine und eines Sattelanhängers, die auf der BAB in einen Unfall mit einem bei der Bekl. haftpflichtversicherten Lkw verwickelt wurden.

Nachdem sich auf der BAB in Fahrtrichtung des Sattelzuges des Kl. aufgrund einer Sperrung nach einem Verkehrsunfall ein Stau gebildet hatte, setzte der Fahrer des klägerischen Sattelzuges dessen Geschwindigkeit fast bis zum Stillstand herab. Der Fahrer des bei der Bekl. haftpflichtversicherten Lkw fuhr zunächst auf den hinter dem Sattelzug des Kl. fahrenden Pkw auf, schleuderte diesen zur Seite und stieß anschließend auf das Heck des Sattelzuges des Kl. auf und schob diesen auf das vorausfahrende Fahrzeug. Die Eintrittspflicht ist zwischen den Parteien unstreitig.

Der Kl. wandte sich zwei Tage nach dem Unfallereignis, das einen Schaden an dem Lkw des Kl. herbeigeführt hatte, über seinen inzwischen bevollmächtigten Anwalt an die Bekl. und bezifferte am 2.12.2011 seine Ansprüche. Die Bekl. forderte den Kl. mit Schreiben v. 8.12.2011 auf, Unterlagen und Belege zur Schadenshöhe vorzulegen und kündigte weiterhin an, dass sie sich Einwände zum Grund und zur Höhe der Ansprüche vorbehalten werde. Eine erste Regulierung erfolgte am 17.1.2012, der Restbetrag wurde in der Folgezeit ausgeglichen. Die Bekl. lehnte die Regulierung der Anwaltsrechnung ab. Eine Beauftragung eines Anwalts zur Verfolgung der Schadensersatzansprüche sei nicht erforderlich gewesen, da es sich um einen einfach gelagerten Fall gehandelt habe. Der geschäftsgewandte Kl. hätte seine Ansprüche zunächst selbst geltend machen müssen. Da der Kl. vor der Beauftragung des Anwalts ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben habe, habe er gewusst, wie er sich zu verhalten habe.

Das AG bejahte einen Anspruch des Kl. gegen die Bekl. auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

2 Aus den Gründen:

" … III. Die Klage ist vollumfänglich begründet."

1. Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.032,80 EUR gem. §§ 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1. VVG. Die volle Eintrittspflicht der Bekl. ist unstreitig und umfasst auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Kl. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts war erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Auf die Frage der – eher fernliegenden – Unredlichkeit der Bekl. kommt es daher nicht an.

a. Vorgerichtliche Anwaltskosten stellen nach einem Verkehrsunfall dann eine nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erstattungsfähige Schadensposition dar, wenn der Geschädigte schutzwürdig ist und die Beauftragung des Rechtsanwalts erforderlich war (BGH MDR 2006, 929). Im Hinblick auf das Kriterium der Erforderlichkeit ist dabei zu beachten, dass sich grds. jede Partei zunächst selbst mit einer entstandenen Sach- und Rechtslage auseinander zu setzen hat; dabei – noch vor Verzug des Schuldners – entstehende Anwaltskosten sind nicht zu erstatten (BVerfG NJW 1990, 3072). Ausnahmsweise darf ein unmittelbar durch den Unfall Geschädigter bereits vor Verzug einen Anwalt dann auf Kosten des Schädigers für die Anspruchsdurchsetzung einschalten, wenn er schutzbedürftig ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte zweckmäßig gewesen ist (BGH NJW 2011, 782; BGH NJW 2010, 3037; BGH NJW-RR 2008, 656).

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