BGB § 823, § 254; StVO § 41 Abs. 1

Leitsatz

1. Der Umfang der Verkehrsicherungspflicht bestimmt sich nicht nach der Beschilderung mit Verkehrszeichen, sondern nach dem Umfang der Widmung. Verkehrssicherungspflichten knüpfen an die tatsächliche Eröffnung des Verkehrs an, sodass im Einzelfall auch gegenüber unbefugten Nutzern eines Wegs Verkehrssicherungspflichten bestehen können.

2. Bei der Bestimmung der vom Verkehrssicherungspflichtigen zu treffenden Maßnahmen ist zum einen darauf abzustellen, welchen Wegezustand der einzelne Verkehrsteilnehmer redlicherweise erwarten darf. Zum anderen ist darauf abzustellen, inwieweit der Verkehrssicherungspflichtige davon ausgehen darf, die Straßen- oder Wegebenutzer werden solche Gefahren, die mit dem Zustand der Straße oder des Wegs verbunden sind, selbst erkennen und bewältigen.

(Leitsätze der Schriftleitung)

LG Saarbrücken, Urt. v. 23.3.2012 – 13 S 207/11

Sachverhalt

Der Kl. begehrt Schadenssersatz aus einem Unfall. Nachdem er Paletten für eine Veranstaltung angeliefert hatte, fuhr er mit seinem Fahrzeug, einem Pick-Up vom Veranstaltungsgelände über einen asphaltierten Verbindungsweg in Richtung der Straße. Aus der Fahrtrichtung des Kl. befindet sich am Beginn des Wegs das Verkehrszeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art), aus der entgegen gesetzten Fahrtrichtung ist das Verkehrszeichen 250 mit Zusatzzeichen 1020 ("Anlieger frei") angebracht. Bei der Fahrt brach der Pick-Up mit der linken Fahrzeughälfte in einem nicht befestigten Randbereich des Wegs ein, in dem die Bekl. zuvor Kabelarbeiten durchgeführt hatte. Der Kl. hat Ersatz der materiellen Schäden an dem Pick-Up mit der Begründung verlangt, die Bekl. habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, da sie die Unfallstelle mit entsprechenden Gerätschaften hätte absperren oder wenigstens auf die Gefahrenstelle durch Schilder hinweisen müssen. Das AG hat unter Verneinung einer Verkehrssicherungspflicht und unter jedenfalls eingreifendem Mitverschulden des Kl. die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl., der seinen Klageanspruch weiter verfolgt hat, hatte teilweise Erfolg.

2 Aus den Gründen:

“Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie hat auch in der Sache teilweise Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) und ist daher abzuändern (§ 513 Abs. 1 ZPO).

1. Die Bekl. hat entgegen der Auffassung des AG eine ihr gegenüber dem Kl. obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).

a) Die Verkehrssicherungspflicht für Baustellen im öffentlichen Verkehrsraum entspringt der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht desjenigen, der eine Gefahrenstelle für andere eröffnet. Im Rahmen dieser Pflicht sind die Maßnahmen erforderlich, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehöriger der betreffenden Verkehrskreise für notwendig und ausreichend erachten darf, um andere Personen vor Schäden an ihren Rechtsgütern zu bewahren (vgl. BGH, Urt. v. 16.5.2006 – VI ZR 189/05, NJW 2006, 2326; Kammer, Urt. v. 15.4.2011 – 13 S 5/11, jeweils m.w.N.). Die Verkehrssicherungspflicht kann dabei über das durch öffentlich-rechtliche Vorschriften, Maßnahmen und Genehmigungen Geforderte hinausgehen und geht auch dann nicht auf die zuständige Behörde über, wenn diese dem Verkehrssicherungspflichtigen Auflagen zur Sicherung gemacht hat (KG, VRS 118, 329; Palandt/Sprau, BGB, 71. Aufl., § 823 Rn 46 m.w.N.). Der Verkehrssicherungspflichtige hat vielmehr eigenverantwortlich zur Gefahrenabwehr erforderliche Maßnahmen zu ergreifen; auch die Billigung unzureichender Maßnahmen entlastet ihn nicht (vgl. KG a.a.O. m.w.N.; OLG Frankfurt, OLG-Report 1997, 300).

b) Nach diesen Grundsätzen war die Bekl. als ein mit der Durchführung von Tiefbauarbeiten im öffentlichen Verkehrsraum beauftragtes Unternehmen für die Sicherung der durch ihre Arbeiten entstandenen Gefahrenstellen grds. verantwortlich (vgl. nur OLG Hamm, NZV 2002, 506; Palandt/Sprau, a.a.O. Rn 191, 222 m.w.N.).

c) Der Kl. wird auch vom Schutzzweck dieser Sicherungspflicht erfasst.

aa) Richtig ist zwar, dass dem Kl. die Benutzung des Wegs aufgrund des Verkehrsverbots gem. § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Zeichen 250 untersagt war. Das entsprechende Verkehrszeichen war deutlich sichtbar angebracht und galt – wie der Kl. selbst einräumt – auch unmissverständlich für den gesamten Bereich des Wegs.

bb) Allerdings ist anerkannt, dass sich der Umfang der Verkehrssicherungspflicht bei einer Straße grds. nicht aus deren Beschilderung mit Verkehrszeichen entsprechend der Anlage zur Straßenverkehrsordnung ergibt, sondern aus dem Umfang der Widmung (vgl. nur BGH, Urt. v. 15.12.1988 – III ZR 112/87, VersR 1989, 847; Palandt/Sprau, a.a.O. Rn 221, jeweils m.w.N.). Denn die Verkehrssicherungspflichten knüpfen an die tatsächliche Eröffnung des Verkehrs an, so dass im Einzelfall auch gegenüber erkennbar unbefugten Nutzern eines Wegs Verkehrssicherungspflichten bestehen können (vgl. OLG Frankfurt, OLG-Report 2001, 188 m.w.N.). Die Frage, für welche Art Verkehr ein Weg gewidmet ...

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