RVG § 14; VV RVG Nr. 2300

Leitsatz

Bei Rahmengebühren i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG, zu denen die Geschäftsgebühr i.S.d. Nr. 2300 VV RVG zählt, steht dem Rechtsanwalt ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 % zu (im Anschluss an BGH, Urt. v. 13.1.2011 – IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603 = zfs 2011, 465).

BGH, Urt. v. 8.5.2012 – VI ZR 273/11

Sachverhalt

Der Kl. hatte vor dem LG Koblenz von den Bekl. Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls geltend gemacht. Hierbei hat er seinen Unfallschaden mit 7.141,60 EUR sowie außergerichtliche Anwaltskosten auf der Grundlage einer 1,5 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG i.H.v. 759,22 EUR berechnet. Das LG hat dem Kl. den Unfallschaden i.H.v. 5.330,54 EUR nebst Zinsen zugesprochen, die Klage im Übrigen, auch hinsichtlich der außergerichtlichen Anwaltskosten, abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das OLG Koblenz AGS 2011, 536 mit Anm. Schons und N. Schneider = JurBüro 2012, 75 mit Anm. Wedel eine 1,3 Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert von 5.330,54 EUR zugesprochen. Die Zubilligung der begehrten 1,5 Geschäftsgebühr hat das OLG Koblenz mit der Begründung abgelehnt, konkrete Umstände für eine mehr als durchschnittlich schwierige oder umfangreiche anwaltliche Tätigkeit seien nicht dargelegt. Auch bei Anwendung der Toleranzgrenze von 20 % komme eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über den Satz von 1,3 hinaus nicht in Betracht. Die hiergegen eingelegte zugelassene Revision des Kl. hatte beim BGH Erfolg.

2 Aus den Gründen:

[2] “… I. Das BG ist der Auffassung, der Kl. könne für die Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten lediglich eine 1,3-Gebühr gem. Nr. 2300 VV RVG in Ansatz bringen, die aus einem Gegenstandswert von 5.330,54 EUR, dem vom LG zuerkannten Betrag, zu berechnen sei. Die 1,3-Gebühr könne der Rechtsanwalt bei durchschnittlichen Verkehrsunfallsachen regelmäßig ohne nähere Darlegungen verlangen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich im vorliegenden Fall um eine unterdurchschnittlich schwierige Angelegenheit handele, lägen nicht vor. Eine höhere Gebühr als 1,3 könne der Kl. jedoch nicht erstattet verlangen. Bei der Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG handele es sich um eine Rahmengebühr i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG. Sei die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, sei die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig sei. Die von dem Prozessbevollmächtigten des Kl. berechnete Gebühr von 1,5 sei unbillig. Nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bestimme der Rechtsanwalt die Gebühr unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Es sei dabei allerdings anerkannt, dass dem Rechtsanwalt bei dieser Ermessensausübung ein Toleranzspielraum von jedenfalls 20 % einzuräumen sei. Der BGH habe in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass im Hinblick auf den genannten Toleranzspielraum eine Erhöhung bei durchschnittlichen Rechtssachen auf eine 1,5 Gebühr einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen sei. Dieser Auffassung sei jedoch nicht zu folgen. Vielmehr lasse die Anmerkung Nr. 2300 VV RVG bei durchschnittlichen Sachen eine höhere Gebühr als 1,3 nicht zu. Nach dieser Anmerkung könne eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig sei. Diese Regelung begrenze deshalb den in § 14 Abs. 1 S. 1 und S. 4 RVG dem Rechtsanwalt eingeräumten Ermessensspielraum dahingehend, dass die 1,3-Gebühr nicht überschritten werden dürfe, wenn die Tätigkeit nicht umfangreich oder schwierig sei.

[3] II. Die Beurteilung des BG hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

[4] 1. Nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren, zu denen die Geschäftsgebühr i.S.d. Nr. 2300 VV RVG zählt, der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, 'nach billigem Ermessen'. Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG (nur dann) nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Dabei steht dem Rechtsanwalt nach überwiegender Meinung auch im Anwendungsbereich des RVG ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 % zu (vgl. BGH zfs 2007, 102 m. Anm. Hansens = AGS 2007, 28 m. Anm. Schons = RVGreport 2007, 21 (Hansens); BGH zfs 2011, 402 m. Anm. Hansens = RVGreport 2011, 136 (Hansens) = AnwBl. 2011, 402; Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., § 14 Rn 12; AnwK-RVG/Onderka, 5. Aufl., § 14 Rn 80 ff. m.w.N.; Winkler, in: Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., § 14 Rn 54 m.w.N.; Römermann, in: Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 14 Rn 89 f.). Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Grenze und ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit unterdurchschnittlich war, ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG unbillig und daher von dem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen (BGH zfs 2007, 102 und zfs 2011, 402). Da nach den Feststellun...

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