1. Haftungsbegründende Kausalität

Die Geschädigten und mit ihnen die Sozialleistungen übernehmenden Sozialversicherungsträger[4] stehen aber insbesondere bei Auffahrunfällen, die nur eine geringe oder mäßige Kollisionsgeschwindigkeit aufweisen, vor dem Problem der Nachweisbarkeit des Ursachenzusammenhanges zwischen dem Aufprall und der erlittenen Gesundheitsverletzung. So sollen nach einhelliger Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich Atteste, die unmittelbar nach dem Unfall durch Ärzte erstellt wurden, nicht zum Beweis der haftungsbegründenden Kausalität ausreichen.[5]

Die Rechtsprechung des BGH ist inzwischen dazu übergegangen, eine sogenannte generelle Harmlosigkeitsgrenze nicht mehr anzunehmen.[6] Nach dieser Grenze sollten Gesundheitsschäden bei geringen Kollisionsgeschwindigkeiten pauschal überhaupt nicht vorliegen.[7] Es muss nunmehr in jedem Fall eine umfassende Einzelfallprüfung anhand von Gutachten erfolgen.[8]

[4] Bei übergegangenen Ansprüchen gem. § 116 SGB X.
[5] Vgl. sehr ausführlich AG Brandenburg, Urt. v. 27.8.2010 – 34 C 28/08.
[7] Laut biomechanischen Gutachten könne die HWS Geschwindigkeitsdifferenzen bis 10 km/h problemlos überstehen: Schmidt/Senn, S. 271.
[8] BGH, ebd.

2. Schwerwiegende Verletzungen trotz geringer Kollisionsgeschwindigkeit

Dennoch kann die vom BGH geforderte Einzelfallprüfung durch in der Regel teure Sachverständigengutachten in manchen Fällen außer Verhältnis zum geltend gemachten Schadensersatz stehen, da die Heilbehandlungskosten aufgrund der erlittenen leichten Verletzungen (Prellungen etc.) eher gering sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass aufgrund einer geringen Kollisionsgeschwindigkeit sich eine HWS-Distorsion durch ein medizinisches Gutachten nachweisen lässt, ist nicht sehr hoch.[9] Insofern schrecken Geschädigte und Sozialversicherungsträger vor einem Prozess zurück. Faktisch erlangt damit die "Harmlosigkeitsgrenze" durchaus noch Wirkung. Dieser Zustand ist aber bedenklich, da er dazu führen kann, dass Geschädigte aufgrund subjektiv erfahrener Beschwerden bei einem Verkehrsunfall davon absehen, einen Rettungswagen zu rufen oder eine ärztliche Abklärung der Beschwerden herbeizuführen, weil dann die Zuzahlung anfällt.[10] Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich durch den Unfall gerade doch schwerwiegende behandlungsbedürftige Verletzungen manifestieren, die dann nicht oder zu spät behandelt würden. So kann es zum Beispiel schon durch einen unvermittelten Anstieg des Blutdruckes zu einer Ruptur eines – bis zum Unfall unbekannten – Aneurysmas[11] kommen,[12] was Lebensgefahr bedeutet.[13]

[9] So auch in dem vom AG Brandenburg zu entscheidenden Fall.
[11] Ausweitung eines Blutgefäßes; angeborene Fehlbildung im Bereich der Hirnbasisarterien; Pschyrembel, Medizinisches Wörterbuch, 258. Aufl., S. 71.

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