" … I. Das LG ist davon ausgegangen, dass ein – im Rahmen der Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG mit dem Verursachungsbeitrag der Bekl. zu 1) gleich hoch zu gewichtender – Verursachungsbeitrag und Mitverschuldensanteil des Kl. darin liege, dass er auf der vorfahrtsberechtigten Straße mit "deutlich herabgesetzter Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h" gefahren sei und den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt habe. (…) Hieraus wird gefolgert, dass die Bekl. zu 1) damit habe rechnen dürfen, dass der Kl. nicht geradeaus fahren werde, sowie ihren Einfahrvorgang habe beginnen dürfen. (…)"

Die hiergegen gerichtete Berufung des Kl. hat nach der durch den Senat wiederholten ergänzten Beweisaufnahme durch Anhörung des Kl., der Bekl. zu 1), Einvernahme der Zeugen S und C sowie Anhörung des SV Dipl. Ing. (FH) R teilweise Erfolg. Danach hat der Kl. gegen die Bekl. Anspruch auf Ersatz von 76 % des ihm (in der Höhe unstreitig) entstandenen Schadens wie tenoriert (einschließlich Zinsen und vorgerichtlich entstandenen Anwaltsgebühren nebst Zinsen).

1. Der Kl. fuhr – unbestritten – auf der gegenüber der Bekl. zu 1) benutzten bevorrechtigten Straße. Das Vorfahrtsrecht (§ 8 Abs. 1 StVO) des Kl. und die Wartepflicht (§ 8 Abs. 2 StVO) der Bekl. zu 1) entfallen – grds. und im Streitfall – auch dann nicht, wenn der Kl. durch missverständliches oder irreführendes Fahrverhalten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hätte.

Gegenteiliges bestätigen die vom Erstgericht zitierten obergerichtlichen Entscheidungen (OLG Karlsruhe DAR 2001, 128; OLG Hamm RuS 2004, 167; KG DAR 1990, 142) gerade nicht, vielmehr entspricht dies einhelliger Meinung, sowohl des Senats (Urt. v. 6.9.2013 – 10 U 2336/13 [BeckRS 2013, 16306]) als auch anderer OLGs (OLG Dresden, Beschl. v. 24.4.2014 – 7 U 1501/13 [BeckRS 2014, 22004]; OLG Düsseldorf DAR 2016, 648; OLG Zweibrücken NJOZ 2008, 2487; OLG Naumburg, Urt. v. 19.2.2014 – 5 U 206/13 [BeckRS 2014, 11880]) und des BGH (NJW 1996, 60, für einen ähnlichen Vertrauenstatbestand). Insoweit ist die Annahme des LG unzutreffend, die Bekl. zu 1) habe mit dem Einfahrvorgang beginnen dürfen (…), was schon denkgesetzlich jegliches Fehlverhalten und jeden Verkehrsverstoß ausschlösse. Im Übrigen wäre dann eine Mithaftung der Bekl., jedenfalls über die Betriebsgefahr hinaus, nicht zu rechtfertigen gewesen.

Umstritten ist allerdings, aufgrund welcher Umstände in dem Streitfall vergleichbaren Fällen ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird (Senat, a.a.O.; OLG Dresden a.a.O.; OLG Hamm DAR 2003, 521). Diese Frage kann jedoch nicht entschieden werden, ohne zuvor das Unfallgeschehen und die Erwägungen des Wartepflichtigen, die ihn zur Einsicht eines gefahrlosen Einfahrens in die Einmündung bestimmt haben, bestmöglich aufzuklären (s. BGH NJW 2012, 608 [BGH 13.12.2011 – VI ZR 177/10]; Senat, Urt. v. 12.6.2015 – 10 U 3981/14 [Rn 49, m.w.N.]; Urt. v. 31.7.2015 – 10 U 4377/14 [Rn 55, m.w.N.]). Deswegen kann keineswegs wie vom Erstgericht angenommen dahingestellt bleiben, ob ein Einordnen des Kl. nach rechts (…), eine vom Zeugen C berichtete Beschleunigung des klägerischen Pkw und der Verlauf der üblichen Fahrlinie im Falle des Abbiegens festgestellt oder ausgeschlossen werden können. Deswegen hat der Senat die Beweisaufnahme wiederholt und ergänzt.

3. Hinsichtlich der Frage, ob der Kl. gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen hat, ist davon auszugehen, dass er nach rechts geblinkt hat und gleichzeitig mit einer, bezogen auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit, eher niedrigen Geschwindigkeit im Bereich um die 30 km/h, wie die überzeugenden Aussagen der beiden von Senat vernommenen Zeugen S und C ergeben haben, gefahren ist. Der Senat kann jedoch nicht davon ausgehen, das und vor allem in welchem Umfang der Kl. im Bereich der Kreuzung noch beschleunigt haben soll. Die Aussage des Zeugen C war insoweit zu ungenau (…), wonach er nur noch von seiner "Wahrnehmung" sprach und davon, dass der Mercedes (des Kl.) "etwas beschleunigt" habe.

Für die Frage der Kausalität des klägerischen Fahrverhaltens für den Unfall kommt es entscheidend darauf an, ob die Bekl. zu 1), die angesichts des von links kommenden Kl. verpflichtet war, vor dem Herausfahren diesen fortwährend zu beobachten, zu dem Zeitpunkt der Entscheidung, in die Kreuzung einzufahren, immer noch davon ausgehen durfte, dass der Kl. nach rechts abbiegt.

Davon kann nach den überzeugenden Ausführungen des SV R bei Unterstellung der Aussage des Zeugen C, der als einziger relativ exakt die Positionen der Fahrzeuge zueinander beschrieben hat, nicht ausgegangen werden.

Der SV hat hierzu ausgeführt, dass man dann, wenn zu dem vom Zeugen C angegebenen Zeitpunkt das Fahrzeug des Kl. ohne Lenkeinschlag geradeaus gefahren ist, als die Bekl. zu 1) losfuhr (und dies gilt selbst dann, wenn er entgegen der Zeugenaussagen im Hinblick auf die spätere Endposition doch eher rechtsorientiert gefahren sein soll), bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h nicht mehr nach rechts abbiegen konnte ohne Gefahr zu gehen, mit den Fa...

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