Potentiell reversible Störungen sind Störungen, die im günstigen Fall vollständig oder weitgehend ausheilen können, im ungünstigen Fall dauerhaft persistieren. Nur in diesen relativ seltenen Fällen ergeben sich Probleme mit prognostischen Aussagen. Hier können wiederholte Begutachtungen sinnvoll sein.

 

Beispiele

Knochenbrüche, Knocheninfektionen, neurologische Störungen z.B. nach Bandscheibenvorfall.

Prognose:

Oft monatelang unklar.

Daraus ergeben sich nachfolgende typische Fallkonstellationen.

1. Akute Beschwerden im Bewegungsapparat ohne gravierende Strukturschädigung

Solche Störungen treten häufig im Bereich der Wirbelsäule auf. Eine falsche Bewegung oder ein kalter Luftzug können ausreichen, um z.B. bei entsprechender Veranlagung einen vorübergehenden schmerzhaften Schiefhals auszulösen. In der Regel heilen diese Beschwerden innerhalb von ein bis zwei Wochen wieder vollständig und dauerhaft aus. Im Bereich der Lendenwirbelsäule können ähnliche Schmerzsyndrome einige Wochen länger andauern. In der Regel lässt sich auch ohne umfassende Diagnostik aufgrund des rasch rückläufigen Beschwerdebilds innerhalb von ein bis zwei Wochen ein günstiger Heilungsverlauf absehen. Eine spezifische Begutachtung ist in solchen Fällen nur ausnahmsweise erforderlich.

Etwas länger anhaltend können die Beschwerden nach Stauchungen, Zerrungen und Bänderanrissen sein. Auch in diesen Fällen ist ohne Nachweis eines massiven Strukturschadens (wie z.B. Knochenbruch, Verrenkung, Knorpelschaden, vollständiger Bänderriss) mit einem günstigen Heilungsverlauf zu rechnen. Hier sind i.d.R. zwei bis drei Wochen, mitunter sechs Wochen ausreichend.

Alles in Allem sind diese primär funktionellen Schmerzsyndrome am Bewegungsapparat in aller Regel sehr gutartig und rasch ausheilend. Eine spezifische Begutachtung ist nur in Ausnahmefällen nötig.

2. Akute Beschwerden im Bewegungsapparat mit gravierender Strukturschädigung

Gutachten werden häufig erforderlich im Zusammenhang mit strukturellen Schäden. Diese strukturellen Schäden können spontan aufgrund eines zunächst fortschreitenden Verschleißes auftreten (z.B. akuter Bandscheibenvorfall oder spontane Ruptur der Rotatorenmanschette in der Schulter), sie können auch unfallbedingt sein.

Aus gutachterlicher Sicht sind hier mehrere unterschiedliche Probleme zu beachten:

a) Schmerzen

Ein z.B. akuter Bandscheibenvorfall kann vorübergehend (einige Wochen lang) massive Schmerzen verursachen, die sich selbst durch Opiate nicht immer zufriedenstellend lindern lassen. In den ersten Wochen ist daher relativ unabhängig vom Beruf mit einer 100 %igen Arbeitsunfähigkeit zu rechnen.

Therapeutisch empfiehlt sich eine potente medikamentöse Schmerztherapie in Verbindung mit einer zurückhaltenden physiotherapeutischen Unterstützung.

 

Beispiel

Akuter symptomatischer Bandscheibenvorfall.

Prognose:

In aller Regel auf Sicht von sechs bis zwölf Wochen günstig.

b) Neurologische Störungen (Gefühlsstörungen, Muskelschwächen, Lähmungen)

Bei ausgeprägten neurologischen Störungen ist an einen frühzeitigen operativen Eingriff zu denken. Solche massiven Störungen sind aber sehr selten. Diskretere Störungen können reversibel oder irreversibel wichtige berufliche Tätigkeiten beeinträchtigen (z.B. Behinderung feinmechanischer Arbeiten aufgrund von Gefühlsstörungen in den Fingern).

Therapeutisch sollten mögliche Folgeschäden (z.B. Gelenkeinsteifungen bei Muskellähmungen) durch konsequente Physiotherapie verhindert werden.

 

Beispiel

Akuter symptomatischer Bandscheibenvorfall.

Prognose:

Massive Schäden (z.B. vollständige Lähmungen) sind oft irreversibel. Diskretere Schäden sind potentiell reversibel, der Verlauf kann aber ein bis max. zwei Jahre lang unklar bleiben.

c) Degenerativer Strukturschaden z.B. einer Bandscheibe

Der degenerative Strukturschaden der betroffenen Bandscheibe ist a priori großteils irreversibel. Zwar kann das ausgetretene Bandscheibenkerngewebe im Laufe von Wochen und Monaten schrumpfen. Im Idealfall wird dadurch eine vorübergehend kompromittierte Nervenwurzel entlastet. Die "kranke Bandscheibe" selbst mit Schäden im Faserring und im Kerngewebe wird dadurch aber nicht wieder gesund. Sie bleibt dauerhaft angeschlagen und beruflich vermindert belastbar.

 

Beispiel

Akuter symptomatischer Bandscheibenvorfall.

Prognose:

Ungünstig. Die biomechanische Belastbarkeit der betroffenen Bandscheibe bleibt dauerhaft deutlich reduziert. Körperlich besonders belastende Arbeiten sollten vorsorglich dauerhaft aufgegeben werden, selbst wenn die akuten Schmerzen abgeklungen sind.

Auch hinsichtlich der Prognose ist es ist also für den medizinischen Gutachter besonders wichtig, sich sehr früh Gedanken zu machen, weshalb die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht fortgesetzt werden kann. Eine dauerhafte massive Beeinträchtigung der biomechanischen Belastbarkeit der verletzten Körperregion durch Unfall oder Verschleiß führt aus medizinischer Sicht in vielen Fällen von vorneherein zu einer Berufsunfähigkeit. Hier muss nicht monatelang gewartet werden, wie sich die Beschwerdesymptomatik entwickelt.

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