Hinweis

Fall 6: G lässt sein beschädigtes Fahrzeug begutachten. Der von ihm beauftragte Sachverständige S kalkuliert Reparaturkosten von 1.000 EUR netto. G verlangt die kalkulierten Netto-Reparaturkosten.[76] H weist die Forderung zurück und legt ein Gutachten der Sachverständigengesellschaft D bei. Darin wird auf eine gleichwertige Reparaturmethode hingewiesen, die lediglich Reparaturkosten von 500 EUR netto verursachen würde. G will ungern auf 500 EUR verzichten.

Da G hier den Ersatz hypothetischer Aufwendungen verlangt, ist er – anders als bei der konkreten Schadensabrechnung – weder in seinem Integritätsinteresse noch in seiner Dispositionsfreiheit besonders geschützt. Denn er hat noch keine Vermögensdisposition getroffen, die diesen Schutz rechtfertigen könnte. Auch der Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung tritt hier in den Hintergrund und lässt vermehrt Raum für das Wirtschaftlichkeitsgebot. G hat sich nämlich im Hinblick auf die Schadensbehebung noch nicht abschließend festgelegt, so dass er sich bei der Geltendmachung seines (fiktiven) Schadens – anders als bei der konkreten Abrechnung – schon allein deswegen verstärkt mit wirtschaftlichen Überlegungen auseinandersetzen muss (vgl. hierzu oben A.III.). Daher wird G, wenn die Reparaturmethode, auf die H hinweist,[77] gleichwertig ist, nur die Kosten dieser Reparatur verlangen können. G kann hier auch nicht für sich in Anspruch nehmen, quasi auf eine einzige Form der Reparatur zurückgeführt zu werden. Denn er hat kein Risiko übernommen, weil er im Gegensatz zu dem Geschädigten, der tatsächlich reparieren lässt, noch keine Vermögensdisposition getroffen hat. Ein sonstiges schützenswertes Interesse, die (hypothetischen) Kosten einer herkömmlichen Reparatur ersetzt zu verlangen, ist nicht ersichtlich. G ist daher nicht anders gestellt als jeder Geschädigte, der Reparaturkosten abrechnen will, deren Erforderlichkeit der Haftungsschuldner in Zweifel zieht.

 
Hinweis

Fall 7: Da G im Autoteil seiner Zeitung gelesen hat, ein Geschädigter könne nur noch die Kosten einer günstigeren Alternativmethode abrechnen, macht er nunmehr gegenüber H die Kosten der günstigsten gleichwertigen Alternativmethode auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags seines Autohauses geltend. H legt ein Gutachten vor, wonach nur eine Abrechnung auf Totalschadensbasis möglich ist, weil die voraussichtlichen Kosten einer herkömmlichen Reparatur über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegen. H meint, bei einem Totalschaden könne immer nur der Wiederbeschaffungsaufwand abgerechnet werden. Dieser liege aber unter dem von G beanspruchten Betrag.

Zwar ist richtig, dass ein Geschädigter bei fiktiver Abrechnung im Totalschadensfall auf den Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwands verwiesen ist.[78] Allerdings stellt sich die Frage, ob hier überhaupt ein Totalschadensfall vorliegt. Ein (wirtschaftlicher) Totalschaden setzt voraus, dass die veranschlagten Brutto-Reparaturkosten den Brutto-Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs überschreiten.[79] Grundlage der Vergleichsbetrachtung sind dabei aber nicht zwingend die Kosten einer herkömmlichen Reparatur. Maßstab sind vielmehr die Kosten, die bei einer vollständigen und fachgerechten Reparatur des Fahrzeugs entstünden. Ist die Alternativmethode uneingeschränkt geeignet, die vollständige und fachgerechte Reparatur des Fahrzeugs zu bewirken und liegen die insoweit kalkulierten Bruttokosten unter 100 % des Wiederbeschaffungswerts, kann mithin schon begrifflich nicht von einem Totalschadensfall ausgegangen werden.[80] G könnte deshalb die (fiktiven) Kosten der Alternativreparatur ersetzt verlangen.

[76] Die USt. ist nämlich nicht angefallen; vgl. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB; hierzu im einzelnen Freymann, jM 2014, 62 m.w.N.
[77] Dies gilt erst recht, wenn das eigene Schadensgutachten die gleichwertige alternative Reparaturmethode ausweist; vgl. Wern, jM 2014, 184, 188.
[78] BGHZ 162, 170; Urt. v. 8.12.2009 – VI ZR 119/09, zfs 2010, 202.
[79] Vgl. BGHZ 162, 170; Wellner, BGH-Rechtsprechung zum Kfz-Sachschaden, 2. Aufl., § 12 Rn 4; Wern, jM 2014, 184, 187. Demgegenüber legen BGH, Urt. v. 10.7.2007 – VI ZR 217/06, NJW 2007, 2918 und Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 249 Rn 18 – fälschlicherweise – die allein für die konkrete Abrechnung maßgebliche 130 %-Grenze zugrunde.
[80] Wern, jM 2014, 184, 187; Nugel, NZV 2015, 12, 15.

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