[15] "… Zu Recht hat das BG allerdings eine Sachentscheidung über die mit dem Einspruch erhobenen Einwände der Bekl. getroffen, ohne über den Wiedereinsetzungsantrag der Bekl. gegen die Versäumung der Einspruchsfrist zu entscheiden. Denn das am 2.3.2009 öffentlich zugestellte Versäumnisurteil, gegen das die Bekl. erst am 20.5.2009 Einspruch eingelegt hat, war nicht rechtskräftig geworden. Durch die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils wurde die Einspruchsfrist (§ 339 Abs. 2 ZPO) nicht in Gang gesetzt, weil die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 185 Nr. 1 ZPO) für eine öffentliche Zustellung erkennbar nicht vorgelegen haben (vgl. BGHZ 149, 311 = NJW 2002, 827, 830)."

[16] a) Nach § 185 Nr. 1 ZPO kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Unbekannt ist der Aufenthalt einer Person nur dann, wenn nicht nur das Gericht, sondern auch die Allgemeinheit den Aufenthalt des Zustellungsadressaten nicht kennt (BGHZ 149, 311 = NJW 2002, 827, 828). Dabei ist es zunächst Sache der Partei, die durch die Zustellung begünstigt wird, alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anzustellen, um den Aufenthalt des Zustellungsempfängers zu ermitteln und ihre ergebnislosen Bemühungen gegenüber dem Gericht darzulegen. Dies gilt auch, wenn die Zustellung von Amts wegen vorzunehmen ist (MüKo-ZPO/Häublein 3. Aufl. § 185 Rn 6).

[17] b) In welchem Umfang die Partei Nachforschungen zum Aufenthalt des Zustellungsadressaten anzustellen hat, wird in Rspr. und Schrifttum allerdings unterschiedlich beurteilt. Vereinzelt wird es für ausreichend angesehen, wenn die Partei ergebnislos beim Einwohnermeldeamt und dem Zustellungspostamt des letzten Wohnsitzes des Zustellungsadressaten angefragt hat (vgl. OLG Naumburg NJW-RR 2001, 1148 f.; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 33. Aufl. § 185 Rn 7). Wegen der besonderen Bedeutung der Zustellung für die Gewährung rechtlichen Gehörs sind jedoch an die Feststellung, dass der Aufenthalt des Zustellungsadressaten unbekannt ist, im Erkenntnisverfahren hohe Anforderungen zu stellen (vgl. BGH Urt. v. 14.2.2003 – IXa ZB 56/03 – NJW 2003, 1530 f. unter ausdrücklicher Abgrenzung zum Vollstreckungsverfahren; vgl. auch Zöller/Stöber ZPO 29. Aufl. § 185 Rn 2; Dornhöfer in BeckOK ZPO [Stand: April 2012] § 185 Rn 2). Die überwiegende Auffassung in der Rspr. und im Schrifttum verlangt deshalb zu Recht, dass die begünstigte Partei alle der Sache nach geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anstellt, um den Aufenthalt des Zustellungsadressaten zu ermitteln. Die begünstigte Partei ist daher beispielsweise auch gehalten, durch persönliche Nachfragen beim ehemaligen Arbeitgeber, bei dem letzten Vermieter oder bei Hausgenossen und Verwandten des Zustellungsadressaten dessen Aufenthalt zu ermitteln (vgl. OLG Köln Urt. v. 16.2.2011 – 11 U 183/10 – juris Rn 8; OLG Frankfurt MDR 1999, 1402; OLG Zweibrücken FamRZ 1983, 630; MüKo-ZPO/Häublein 3. Aufl. § 185 Rn 2; Zöller/Stöber ZPO 29. Aufl. § 185 Rn 2; Musielak/Wittschler ZPO 9. Aufl. § 185 Rn 2). Die vorgenommenen Nachforschungen und deren Ergebnis muss die begünstigte Partei gegenüber dem Gericht darlegen. Hat das Gericht Zweifel an der Darstellung der Partei, ist es, sofern die Zustellung von Amts wegen vorzunehmen ist, auch zu eigenen Überprüfungen verpflichtet (MüKo-ZPO/Häublein 3. Aufl. § 185 Rn 7).

[18] c) Auf dieser rechtlichen Grundlage durfte sich das AG für die Anordnung der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils nicht mit den vom Kl. vorgelegten Unterlagen begnügen und hätte die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils ablehnen müssen. Das BG weist insoweit zutreffend darauf hin, dass dem Kl. weitere geeignete Maßnahmen zur Ermittlung des Aufenthaltsorts der Bekl. zur Verfügung standen, die er ungenutzt ließ. Naheliegend wäre gewesen, dass sich der Kl. zunächst mit der Streithelferin als Verwalterin der Eigentumswohnanlage in Verbindung setzt und dort nachfragt, ob ihr der Aufenthalt der Bekl. bekannt ist. Da dem Kl. zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits bekannt war, dass die Bekl. in der Wohnung ein Bordell betreibt, war ihm auch zuzumuten, sich unmittelbar telefonisch oder schriftlich an das in der Wohnung betriebene Bordell zu wenden, um dort Erkenntnisse über den Aufenthaltsort der Bekl. zu erhalten. Dazu bestand auch deshalb Anlass, weil dem Kl. bekannt war, dass zuvor die Kündigung des Mietvertrages unter dieser Anschrift an die Bekl. zugestellt werden konnte.

[19] d) Eine unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordnete öffentliche Zustellung löst nach der Rspr. des BGH die Zustellungsfiktion des § 188 ZPO nicht aus und setzt damit keine Frist in Lauf (BGHZ 149, 311, 321 = NJW 2002, 827, 830; BGH Urt. v. 6.10.2006 – V ZR 282/05 – NJW 2007, 303 Rn 12). Das gilt jedenfalls dann, wenn die öffentliche Zustellung bei sorgfältiger Prüfung der Unterlagen nicht hätte angeordnet werden dürfen, deren Fehlerha...

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