"… 2. Zu Unrecht meint das LG, Ansprüche aus dem Unfallversicherungsvertrag scheiterten daran, dass der Kl. es versäumt habe, rechtzeitig eine ärztliche Bescheinigung über den Eintritt der Invalidität einzureichen (Ziffer 2.1.1.1 AUB 2002)."

a. Gem. Ziffer 2.1.1.1 AUB 2002 hängt die Leistungspflicht des VR davon ab, dass die Invalidität binnen eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten von einem Arzt schriftlich festgestellt worden ist. …

Diesen Anforderungen wurde hier zu keinem Zeitpunkt Rechnung getragen. …

b. Die Bekl. kann sich auf das Versäumen der Frist aber nicht berufen.

Es kann dahinstehen, inwieweit das sich schon daraus ergibt, dass der Kl. über die einzuhaltenden Fristen möglicherweise nicht ordnungsgemäß belehrt wurde (§ 186 S. 2 VVG). Jedenfalls kann er dem Einwand der Fristversäumnis seinerseits den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten.

(1) Der VR kann in bestimmten Fallkonstellationen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Leistung nicht mit der Begründung ablehnen, die Frist für die ärztliche Feststellung sei abgelaufen. Das gilt insb. dann, wenn er den VN in dem Glauben gewogen hat, er selbst – der VR – sorge für die Klärung der Anspruchsvoraussetzungen und der VN brauche nichts weiter zu unternehmen. Macht der VN, ohne eine ärztliche Bescheinigung zu einer dauerhaften Beeinträchtigung vorzulegen, Invalidität geltend und setzt der VR ihn davon in Kenntnis, dass er selbst – noch innerhalb der 15-Monatsfrist – ein ärztliches Gutachten einhole, um die Frage eines Dauerschadens und seiner Unfallbedingtheit zu überprüfen, so hat der VN keine Veranlassung zu der Annahme, er müsse sich unbeschadet dessen seinerseits um eine fristgerechte Feststellung kümmern (siehe BGH VersR 2005, 639; VersR 2006, 352 …). Er darf sich unter solchen Umständen darauf verlassen, dass der VR die Leistung einer Invaliditätsentschädigung jedenfalls nicht wegen Versäumung der 15-Monatsfrist ablehnen werde. … Will der VR das vermeiden, so muss er der gegenläufigen Einschätzung des VN entgegenwirken und ihm (nochmals) einen ausdrücklichen hierauf bezogenen Hinweis erteilen.

(2) Nach diesen Grundsätzen ist der Treuwidrigkeitseinwand hier begründet. Nach einem Telefonat zwischen dem zuständigen Sachbearbeiter der Bekl. und dem Kl. – gleichviel welchen genauen Inhalts – hat die Bekl. im Rahmen ihrer Leistungsprüfung ein Gutachten beauftragt, mit dem sie neben der Art des aufgetretenen Verletzungsbilds Fragen des Kausalzusammenhangs zu klären beabsichtigte, ferner das Vorhandensein von Dauerfolgen und ihre Auswirkungen. Dem Kl. wurde das entsprechende Auftragsschreiben zur Kenntnis übersandt. Er musste vor diesem Hintergrund nicht davon ausgehen, es werde von ihm erwartet, zusätzlich in eigener Initiative ärztliche Bescheinigungen zu eben diesen Fragen einzuholen. Hätte die Bekl. das gewollt, hätte sie das dem Kl. deutlich sagen müssen. Der zuvor in dem Internet-Schadenformular enthaltene Hinweis genügte nicht, weil der Kl. dessen Inhalt und Bedeutung als durch das spätere Verhalten der Bekl. hinfällig geworden betrachten durfte. …

Der Umstand, dass Prof. Dr. D einen nachweislichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der behaupteten Kopfdrehung und dem Auftreten einer Carotis-Dissektion sowie einen unfallbedingten Dauerschaden verneint hat, ändert daran nichts. … Der Kl. durfte sich ab dem Zeitpunkt, in dem die Bekl. ihm das Einholen einer ärztlichen Feststellung aus der Hand nahm, als hiervon endgültig befreit betrachten …

(3) Der Schlüssigkeit der Klage schadet es nicht, dass der Kl. auch im Rechtsstreit keine ärztliche Bescheinigung zur Invalidität vorgelegt hat. Das bedeutet – selbstverständlich – nicht, dass die anspruchsrelevante Frage unfallbedingter dauerhafter Leistungsbeeinträchtigungen, soweit entscheidungsrelevant, nicht geklärt werden müsste. Die hier in Rede stehenden Voraussetzungen für den versicherungsvertraglichen Anspruch müssen indessen erst zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erfüllt sein, so dass die erforderlichen Feststellungen auch im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens – ggf. im Wege der Erhebung des Sachverständigenbeweises – getroffen werden können. Einen sinnvollen Grund dafür, parallel hierzu eine durch den Kl. zu initiierende außergerichtliche Feststellung zu fordern, sieht der Senat nicht. Die von Ziffer 2.1.1.1 AUB 2002 intendierte Ausgrenzung von Spätschäden lässt sich ohnehin nicht mehr erreichen, ebenso wenig wäre eine ärztliche Feststellung nach Anhängigwerden des Rechtsstreits noch geeignete Grundlage für eine Leistungsprüfung der Bekl.

3. Gleichwohl ist die Klage unbegründet.

Ob der Kl. das der erlittenen Gefäßdissektion vorangegangene und von der Bekl. zulässig gem. § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestrittene Geschehen zu beweisen vermag und ob er tatsächlich in einer Invalidität begründenden Weise dauerhaft beeinträchtigt ist, kann dahinstehen. Jedenfalls hat er – entgegen der Auffassung des LG – deshalb keine Ansprüche aus dem Unfallversicherungs...

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