1. Ist dem Geschädigten durch ein Urt. ein Schmerzensgeld zuerkannt worden, wird er bei Auftreten weiterer, zum Zeitpunkt des Urt. noch nicht erkennbarer Beschwerden und Beeinträchtigungen das Schmerzensgeld für unzureichend halten und Nachforderungen stellen. In der Regel wird er damit scheitern. Der titulierte Schmerzensgeldbetrag gilt nicht nur die bereits aufgetretenen Verletzungsfolgen ab, die zur entgangenen Lebensfreude beitragen, sondern auch die objektiv vorhersehbaren Verletzungsfolgen (vgl. BGH zfs 2006, 381; BGH NJW 1988, 2300; OLG Schleswig MDR 2002, 1068; MüKo-ZPO, 3. Aufl., § 322 Rn 136; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 322 Rn 149). Damit steht die rechtskräftige Zuerkennung eines Schmerzensgeldes für die Folgen einer Körperverletzung der Nachforderung entgegen, soweit es sich um Verletzungsfolgen handelt, die entweder bereits eingetreten sind oder deren künftiger Eintritt als Spätschaden für einen Fachkundigen erkannt oder jedenfalls erkennbar waren (vgl. auch BGH NJW-RR 2006, 712). Das ergibt sich aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes und der daraus folgenden Gesamtbetrachtung des Schadens, wonach alle auch künftigen Umstände, mit denen zu rechnen war, in die Bemessung einzubeziehen sind (von Gerlach, VersR 2000, 525, 530; Müller, VersR 1993, 909, 915; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 6. Aufl., Rn 1523). Abgegolten werden damit zum einen solche Verletzungsfolgen nicht, die nicht Streitgegenstand der Schmerzensgeldklage gewesen sind, wie bei einer rechtskräftigen Zubilligung eines Schmerzensgeldes für ein im Vorprozess allein geltend gemachtes Schleudertrauma, wenn später ein Schmerzensgeld für eine darauf zurück geführte paranoid-halluzinatorische Psychose gefordert wird. Das stellt einen neuen Streitgegenstand dar, sodass der Vorprozess der Zulässigkeit der neuen Klage nicht entgegensteht (vgl. BGH NJW 1998, 1786).

2. Konnte ein Mediziner die nunmehr angeführten Spätschäden nicht voraussehen, sperrt das im Vorprozess ergangene Schmerzensgeldurteil die Geltendmachung eines weiteren Schmerzensgeldes nicht (vgl. OLG Köln zfs 1992, 82; OLG Frankfurt zfs 1992, 225 f.; vgl. auch BGH NJW-RR 2006, 712).

Um unliebsame Überraschungen durch auftretende und für einen Sachkundigen vorhersehbare negative Spätfolgen zu vermeiden, sind den Geschädigten untersuchende Ärzte – falls sich dies nicht ohnehin aus ihren Untersuchungsbefunden ergibt – nach vorhersehbaren, derzeit noch nicht erkennbaren Verletzungsfolgen zu befragen. Für den bei Schmerzensgeldansprüchen häufigen Fall, dass sich zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht endgültig feststellen lässt, welche nachteiligen Änderungen des gesundheitlichen Zustandes des Geschädigten aufgrund des Schadensereignisses noch eintreten können, kann der Geschädigte im Wege der offenen Teilklage verlangen, dass ihm der Betrag des Schmerzensgeldes zugesprochen wird, der ihm zum Zeitpunkt der Entscheidung mindestens zusteht (BGH NJW 2004, 1243, 1244; BGH VersR 2001, 876, 877), und später den zuzuerkennenden Betrag nach Klärung der gesundheitlichen Entwicklung auf den insgesamt angemessenen Betrag zu erhöhen. Diese Gestaltungsmöglichkeit bietet sich auch deshalb an, weil bei einer ausnahmsweise zulässigen Nachforderung von Schmerzensgeld wegen des Eintritts objektiv nicht vorhersehbarer Verletzungsfolgen das früher zuerkannte Schmerzensgeld sich jetzt aufgrund der neuen Entwicklung als Teilschmerzensgeld darstellt (vgl. BGH VersR 1995, 471; von Gerlach, VersR 2000, 525, 530 f.).

RiOLG a.D. Heinz Diehl, Neu-Isenburg

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