BGB § 249 Abs. 2 S. 1

Leitsatz

Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls, der in berechtigtem Vertrauen auf die Angaben seines SV von einem Totalschadensfall ausgeht und eine Wiederbeschaffung vornimmt, darf seinen Schaden auf Totalschadensbasis konkret abrechnen, auch wenn der Schädiger nachträglich Einwände erhebt, die geeignet sind, die Annahme eines Totalschadens in Frage zu stellen.

LG Saarbrücken, Urt. v. 15.9.2017 – 13 S 59/17

Sachverhalt

Der Kl. macht restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, bei dem das Kfz des Kl. stark beschädigt wurde. Die Bekl. sind in voller Höhe eintrittspflichtig.

Der von dem Kl. beauftragte Gutachter wies Reparaturkosten von brutto 8.033,69 EUR bei einem Wiederbeschaffungswert von 7.500 EUR (einschl. 2,4 % Differenzbesteuerung) sowie einen Restwert von 500 EUR aus. Der Kl. verkaufte das Unfallfahrzeug am 27.7.2016 zu dem gutachterlich ermittelten Restwert und erwarb am 2.8.2016 ein Neufahrzeug zum Preis von 13.695 EUR inkl. 19 % Mehrwertsteuer einschließlich Zulassungskosten von 125 EUR. Für die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs in der Zeit vom 20.7.–3.8.2016 wurden dem Kl. 1.075,51 EUR in Rechnung gestellt. Der Kl. rechnete auf Totalschadensbasis ab und beanspruchte neben den Mietwagen-, Zulassungs- und Sachverständigenkosten einschließlich der Kosten der Achsvermessung eine Unkostenpauschale von 30 EUR, insgesamt einen Betrag von 9.559,58 EUR.

Dieser Abrechnung trat die beklagte Haftpflichtversicherung nach Einholung eines Prüfberichts entgegen. Sie ging von Reparaturkosten von lediglich 7.425,43 EUR aus, die wegen der fiktiven Abrechnung und der daraus bei der Ansetzung niedrigerer Stundenverrechnungssätze auf 5.675,17 EUR zu reduzieren seien. Die von ihr ermittelten Nettoreparaturkosten glich die Bekl. aus. Die Bekl. folgte einem weiteren Prüfbericht, wonach der ersatzfähige Mietpreis auf der Grundlage des Mittelwerts von Schwacke/Fraunhofer zu erstatten sei.

Das AG ging davon aus, dass der Kl. auf Totalschadensbasis abrechnen dürfe, weil er auf das eingeholte Gutachten habe vertrauen dürfen.

Hinsichtlich der Mietwagenkosten ist das LG der Berechnung der Bekl. gefolgt. Dementsprechend hat das LG den rechnerisch offen stehenden Differenzbetrag zwischen der Berechnung des Kl. und der von der Bekl. geleisteten Zahlung zugesprochen.

Die Berufung der Bekl. verfolgt die Abweisung der Klage. Sie meint, dass der Kl. auf die Richtigkeit des im Gutachten ausgewiesenen Wiederbeschaffungswerts nicht habe vertrauen dürfen, weil dieser lediglich differenzbesteuert ausgewiesen worden sei.

Bei einer fiktiven Anrechnung sei ein Vertrauensschutz auf die Richtigkeit der Feststellungen des Gutachters nicht gegeben. Mit der Anschlussberufung verfolgt der Kl. die Verurteilung der Bekl. zur Freistellung von den restlichen Mietwagenkosten.

Berufung und Anschlussberufung hatten keinen Erfolg.

2 Aus den Gründen:

" … 1. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag beanspruchen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Fahrzeugeigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte (vgl. BGH, Urt. v. 23.2.2010 – VI ZR 91/09, VersR 2010, 173 f.; BGHZ 61, 346, 349 f.). Für die Berechnung von Kraftfahrzeugschäden stehen dem Geschädigten im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeugs (vgl. BGH, Urt. v. 5.2.2013 – VI ZR 363/11, MDR 2013, 331 f.; Urt. v. 2.3.2010 – VI ZR 144/09, VersR 2010, 785 ff.; Urt. v. 6.3.2007 – VI ZR 120/06, BGHZ 171, 287; Urt. v. 29.4.2003 – VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 397 f.). Allerdings hat der Geschädigte das sog. Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Unter mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten der Naturalrestitution hat er grds. diejenige zu wählen, die den geringsten Aufwand erfordert (vgl. BGH, Urt. v. 22.9.2009 – VI ZR 312/08 – VersR 2009, 1554 f.; Urt. v. 9.6.2009 – VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 ff.). Um diese zu ermitteln, ist grds. ein postengenauer Vergleich vorzunehmen zwischen dem Instandsetzungsaufwand, der die Reparaturkosten zzgl. eines etwaig verbleibenden Minderwerts umfasst, und dem Wiederbeschaffungsaufwand, der Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert des Unfallfahrzeugs (vgl. etwa BGHZ 115, 364 m.w.N.). Für die Vergleichsbetrachtung ist dabei auf die jeweiligen Bruttowerte abzustellen, jedenfalls dann wenn der Geschädigte – wie hier – nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist (vgl. BGH, Urt. v. 3.3.2009 – VI ZR 100/08, NJW 2009, 1340)."

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen durfte der Kl. bei der Ersatzbeschaffung mit Recht von einem Totalschadensfall ausgehen.

a) Auf der Grundlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens, das der Geschädigte seiner Vergleichsbetrachtung grds. zugrunde legen darf (vgl. BGHZ 143, 189 ff.; BGH, Urt. v. 6.4.1993 – VI ZR 181/92, VersR 1993, 769 f.; Urt. v. 20.6.1972 – VI ZR 61/71, VersR 1972, 1024 f.), überstiegen die ...

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