Nicht selten ergibt sich die Konstellation, dass an einem Auffahrunfall mehr als zwei Fahrzeuge beteiligt sind. Ist dies der Fall, wird allgemeinhin von einem Kettenauffahrunfall gesprochen.

In der am häufigsten anzutreffenden Konstellation von drei beteiligten Fahrzeugen wird es so sein, dass das vorderste Fahrzeug einen Schaden im Heckbereich hat, das mittlere Fahrzeug einen Schaden im Frontbereich und im Heckbereich und das dritte Fahrzeug einen Schaden allein im Frontbereich.

Steht bei einer solchen Konstellation fest, dass alle drei Fahrzeuge bereits längere Zeit in einer Fahrtrichtung gefahren sind, so wird zunächst einmal die Situation für das vorderste der drei Fahrzeuge am einfachsten sein. Er wird sich auf einen Anscheinsbeweis zu Lasten des mittleren Fahrzeugs berufen können. Doch was gilt im Verhältnis des mittleren zum hinteren Fahrzeug? Leicht ist es, wenn feststeht, dass das mittlere Fahrzeug erst vom hintersten Fahrzeug auf das vorderste Fahrzeug aufgeschoben worden ist. Steht dies fest, so spricht zu Lasten des Dritten der Anscheinsbeweis. Er ist eintrittspflichtig für den vollumfänglichen Schaden des mittleren Fahrzeugs und ebenso für den Heckschaden des Vordermanns.

Komplizierter wird bereits die Situation dann, wenn unstreitig oder erwiesen ist, dass das mittlere Fahrzeug bereits vor dem Aufprall des Hintermanns auf das davor fahrende Fahrzeug aufgefahren ist. Klar ist, dass der Vordermann vom mittleren Fahrzeug vollumfänglichen Schadensersatz verlangen kann und sich diesbezüglich auf einen Anscheinsbeweis berufen kann. Doch was gilt für den Dritten?

Werden obige Grundsätze – insbesondere die angesprochene Rechtsprechung des BGH,[9] wonach der Hintermann mit einem abrupten, ruckartigen Anhalten nicht rechnen muss – beachtet, so kann sich der mittlere Fahrer hinsichtlich seines Heckschadens nicht auf einen Anscheinsbeweis zulasten des letzten Fahrzeugs berufen. Allein die Tatsache, dass das mittlere Fahrzeug auf das davor fahrende Fahrzeug aufgefahren ist, führt zu dem Ergebnis, dass für das letzte Fahrzeug kein Erfahrungssatz mehr spricht, demzufolge hier ein Verschulden in Form von zu dichtem Auffahren, Unaufmerksamkeit oder zu hoher Geschwindigkeit vorliegt. Anders als dies zum Teil in der Rechtsprechung vertreten wird,[10] kann in einer solchen Situation nicht angenommen werden, dass der Auffahrende erst beweisen muss, dass durch das davor vorhandene Auffahren der Bremsweg in relevanter Weise verkürzt worden ist. Ist dies nicht aufklärbar, so kann das davor vorhandene Auffahren gegen diesen Erfahrungssatz des Hintermanns sprechen, so dass der Anscheinsbeweis erschüttert ist. Dies wiederum bedeutet, dass der Hintermann für den Heckschaden des mittleren Fahrzeugs zu 50 % verantwortlich ist, genauso wie der Mittlere den Frontschaden des Hintermanns zu 50 % zu ersetzen haben wird. Diesbezüglich sind nämlich lediglich die jeweiligen Betriebsgefahren gegeneinander abzuwägen.

Die dritte und zumindest in der Rechtsprechung am häufigsten anzutreffende Konstellation ist die, dass streitig ist und nicht aufgeklärt werden kann, in welcher Reihenfolge die Fahrzeuge kollidiert sind.

Auch hier kann sich der Vordermann auf einen Anscheinsbeweis zu Lasten des Mittleren berufen. Da nicht feststeht, dass der Dritte zunächst auf den Zweiten aufgefahren ist und diesen auf den Vordermann aufgeschoben hat, ist der Dritte nicht für den Frontschaden des mittleren Fahrzeugs verantwortlich. Zugleich spricht jedoch gegen ihn noch der Anscheinsbeweis für ein eigenes Auffahren auf das Heck des Fahrzeugs, so dass der Mittlere den Heckschaden vom Hintermann ersetzt verlangen kann, während der Hintermann keinen Schadensersatzanspruch gegen den Mittleren besitzen wird.

Denn im Unterschied zum obigen zweiten Fall steht gerade nicht fest, dass der Mittlere zunächst auf den Vordermann aufgefahren ist, so dass der Anscheinsbeweis gegen den Dritten auch nicht erschüttert sein kann, da es insoweit an erwiesenen Tatsachen mangelt.

[9] BGH NJW 1987, 1085.
[10] Z.B. KG DAR 1995, 482.

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