" … Die zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 S. 1 VwGO), hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kl. erfüllt nicht die Anforderungen der FeV v. 18.12.2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung v. 16.12.2014 (BGBl I S. 2213), an das Sehvermögen für die begehrte Erteilung der Fahrerlaubnis der Klassen C1 und C1E."

1. Bei einer Verpflichtungsklage, mit der ein Anspruch auf (Wieder-)Erteilung einer Fahrerlaubnis verfolgt wird, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (st. Rspr., vgl. nur BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 – 3 C 14.01 – [zfs 2002, 46 =] BayVBl 2002, 24; BayVGH, Urt. v. 7.5.2001 – 11 B 99.2527 – BayVBl 2002, 116). Die Frage, ob dem Kl. ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis für die Klassen C1 und C1E zusteht, ist somit nach der FeV in ihrer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden Fassung zu beurteilen.

Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 S. 1 FeV). Zwar wird Personen, denen eine Fahrerlaubnis bis zum Ablauf des 18.1.2013 entzogen worden ist oder die bis zu diesem Stichtag einen Verzicht auf ihre Fahrerlaubnis erklärt haben, die Fahrerlaubnis grds. im Umfang der Anlage 3 zur FeV erteilt (§ 76 Nr. 11a S. 1 FeV). Dies steht jedoch unter dem Vorbehalt des § 76 Nr. 9 FeV, der lediglich bei Inhabern einer Fahrerlaubnis der Klasse 3 alten Rechts oder einer ihr entsprechenden Fahrerlaubnis, die bis zum 31.12.1998 erteilt worden ist, im dort festgelegten Umfang zur Wahrung des Bestandsschutzes Abweichungen von den Anforderungen an das Sehvermögen vorsieht. § 76 Nr. 9 FeV ist vorliegend jedoch nicht anwendbar, da diese Norm Umstellungen bestehender Fahrerlaubnisse und hiervon erfasster Fahrerlaubnisklassen betrifft (Haus in NK-GVR, 1. Auflage 2014, § 20 FeV Rn 73). Da der Kl. aufgrund der Entziehung seiner Fahrerlaubnis mit Strafbefehl v. 30.3.2010 nicht (mehr) “Inhaber‘ einer Fahrerlaubnis der Klasse 3 alten Rechts ist, die auch Fahrzeuge bis zu einem zulässigen Gesamtgewicht von 7,5 t umfasst hat, gelten für ihn die in § 12 Abs. 6 FeV und Anlage 6 Nr. 2 festgelegten Anforderungen an das Sehvermögen für die Erteilung der Fahrerlaubnis der Gruppe 2 (Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung).

Dem Kl. kommt auch nicht die Sonderregelung in Nr. 2.2.3 der Anlage 6 zur FeV für Inhaber einer bis zum 31.12.1998 erteilten Fahrerlaubnis zugute. Da seine Fahrerlaubnis mit der Entziehung erloschen ist, ist ein Bestandsschutz hieran entfallen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.9.2002 – 3 C 18.02 – zfs 2003, 375 =] NJW 2003, 530; Haus in NK-GVR, § 20 FeV Rn 70). Dies gilt auch hinsichtlich der mit den unionsrechtlich festgelegten Anforderungen an das Sehvermögen nicht in Einklang stehenden und inzwischen aufgehobenen Regelung in der Unternummer 2.1.4.4 zur Nr. 2.2.3 der Anlage 6 in der Fassung der Verordnung v. 18.7.2008 (BGBl I S. 1338), wonach nicht nur bei Inhabern, sondern auch bei Bewerbern um eine neue Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung mit einer Sehschärfe von weniger als 0,2 auf einem Auge eine zentrale Tagessehschärfe von 0,6 ausreichen sollte, wenn seit der Entziehung, der vorläufigen Entziehung oder der Beschlagnahme des Führerscheins oder einer sonstigen Maßnahme nach § 94 StPO nicht mehr als zwei Jahre verstrichen sind und feststeht, dass das Wahrnehmungsvermögen des Betroffenen trotz verminderten Sehvermögens zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs der Klasse/Art noch ausreicht.

2. Nach § 12 Abs. 6 FeV haben sich Bewerber um die Erteilung oder Verlängerung einer Fahrerlaubnis der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE oder D1E einer Untersuchung des Sehvermögens nach Anlage 6 Nr. 2 zu unterziehen und hierüber der Fahrerlaubnisbehörde eine Bescheinigung des Arztes nach Anlage 6 Nr. 2.1 oder ein Zeugnis des Augenarztes nach Anlage 6 Nr. 2.2 einzureichen. Grds. verlangt Anlage 6 Nr. 2.2.1 S. 2 bei Fehlsichtigkeit eine zentrale Tagessehschärfe des schlechteren Auges von 0,5. In Einzelfällen kann unter Berücksichtigung von Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung der Visus des schlechteren Auges für die Klassen C, CE, C1, C1E unter 0,5 liegen. Ein Wert von 0,1 darf jedoch nicht unterschritten werden (Anlage 6 Nr. 2.2.1 S. 5).

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die zentrale Tagessehschärfe des schlechteren (rechten) Auges des Kl. aufgrund der seit Geburt bestehenden Amblyopie unterhalb des Mindestwerts von 0,1 liegt. Dies hat die Gutachterin PD Dr. O … in der mündlichen Verhandlung am 3.7.2012 ausdrücklich bestätigt. Zwar verfügt der Kl., wie beide Gutachter ausgeführt haben, auf dem schlechteren Auge über ein normales peripheres Gesichtsfeld bis ca. 90° und kann daher mit diesem Auge vergleichbar mit eine...

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