Auch kann das Argument, dass eventuellem Missbrauch Vorschub geleistet würde, nicht überzeugen.

Sicher mag es den einen oder anderen Fall von Missbrauch geben, doch wenn die eben genannten Kriterien Berücksichtigung finden, so dürfte dies in der Praxis nicht allzu oft vorkommen.

Missbrauch gibt es zweifelsfrei aber auch bei reinen Sachschäden, zumal es ja leider häufig übliche Praxis ist, dass auch eventuelle Vorschäden mitrepariert werden. Um einen Vergleich zu bemühen: Auch bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen kann es Missbräuche geben, jedoch können wir deshalb nicht die sozialen Sicherungssysteme abschaffen.

Wahrscheinlich werden solche Argumente eher von Menschen herangezogen, die nach einem tragischen Verkehrsunfall noch niemals direkten Kontakt zu einem nahen Familienangehörigen eines Unfallopfers gehabt haben, wie etwa bei folgenden Beispielen:

  1. Frauen mit minderjährigen Kindern, die sich durch das unerwartete und tragische Ableben ihres Mannes bzw. Vaters finanziell nicht mehr in der Lage sehen, die für Hauskauf oder -bau aufgenommenen Schulden zu tilgen;
  2. Wenn der einzige Sohn einer Familie, die einen Familienbetrieb führt (z.B. Landwirtschaft), anlässlich eines Verkehrsunfalls verstirbt und die Eltern außerstande sind, den Betrieb weiter zu führen, der somit veräußert werden muss;
  3. Ganz zu Schweigen von der Situation, wenn Familienangehörige einen Schwerbehinderten entweder bei sich zu Hause betreuen oder aber einem Langzeitpflegeheim zur Betreuung übergeben müssen. Die Pflegekasse zahlt monatlich lediglich einen geringen Teil der entsprechenden Kosten, wobei dann die Angehörigen die restlichen ungedeckten Kosten von monatlich 3.000 bis 4.000 EUR selbst tragen müssen. Bekanntlich ist es in solchen Situationen auch nicht immer ein leichtes Unterfangen, beim Schädiger bzw. bei dessen Haftpflichtversicherer die ungedeckten Kosten geltend zu machen.

Meiner Auffassung nach sollte man bestimmte Situationen aus einem anderen Blickwinkel (nämlich jenem der Opfer) betrachten. Etwaige Diskussionen, dass sich nahe Angehörige durch Zahlung von Schadensersatzbeträgen aufgrund des Ablebens des Familienagehörigen womöglich noch bereichern könnten, sind aus meiner Sicht völlig realitätsfremd. Es mag vielleicht auch Grenzfälle geben, bei denen Schadensersatzzahlungen in obigem Umfang nicht zu rechtfertigen sind, jedoch wird man eine Ideallösung sicherlich nie finden. Es kann aber nicht angehen, dass in den allermeisten Fällen, in denen eine Schadensersatzzahlung an die Angehörigen allemal gerechtfertigt wäre, eine solche aufgrund weniger Randfälle nicht möglich sein sollte.

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