BRAGO § 6 Abs. 1 S. 2 § 31 Abs. 1 § 48; RVG § 61 Abs. 1; VV RVG Nr. 3100 3305 1008 Vorbem. 3 Abs. 5

Leitsatz

1. Ist dem Rechtsanwalt der Auftrag für das selbstständige Beweisverfahren vor dem 1.7.2004 und hinsichtlich desselben Gegenstands der Auftrag für den Hauptsacherechtsstreit nach diesem Stichtag erteilt worden, berechnet sich die Vergütung für das selbstständige Beweisverfahren nach der BRAGO und für den Hauptsacherechtsstreit nach dem RVG. In diesem Fall gilt die Anrechnungsbestimmung von Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG entsprechend.

2. Sieht das Gesetz die Anrechnung auf eine Gebühr vor, auf die ihrerseits wiederum eine zuvor entstandene Gebühr anzurechnen ist, dann ist diese Gebühr nicht nur mit dem nach Anrechnung verbleibenden Restbetrag anzurechnen, sondern in vollem Umfang.

(Leitsätze der Schriftleitung)

OLG Hamm, Beschl. v. 2.9.2014 – 25 W 135/14

Sachverhalt

Die Bekl. hatte als Bauträgerin für die beiden Kl. ein Einfamilienhaus errichtet. Die Kl. haben vor dem 1.7.2004 hinsichtlich eines Gegenstandswertes von 133.821,81 EUR zunächst ein selbstständiges Beweisverfahren eingeleitet. Den von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen ermittelten Schadensbetrag haben die Kl. sodann nach dem 1.7.2004 gegen die Bekl. in einem Mahnverfahren geltend gemacht. Nachdem die Bekl. gegen den Mahnbescheid Widerspruch eingelegt hatte, wurde das Verfahren an das LG Dortmund abgegeben. Aufgrund der nach mündlicher Verhandlung ergangenen Entscheidung, in der den Kl. 27 % und der Bekl. 73 % der Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind, haben die Kl. die Ausgleichung ihrer Kosten beantragt. Dabei haben sie die Anwaltskosten für das selbstständige Beweisverfahren nach der BRAGO abgerechnet, die Kosten im nachfolgenden Mahn- und in dem Streitverfahren hingegen jeweils nach dem RVG. Die gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO angefallene 10/10 Prozessgebühr haben sie auf die 1,0 Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens angerechnet. Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Hauptsacheverfahrens hat die Rechtspflegerin des LG Dortmund entsprechend dem Antrag der Kl. hingegen nicht vorgenommen. Der Kostenfestsetzungsantrag der Kl. hatte – hinsichtlich ihrer Anwaltskosten – im Einzelnen folgenden Inhalt:

I. Selbstständiges Beweisverfahren:

 
1. 13/10 Prozessgebühr, §§ 6 Abs. 1 S. 2, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO (Wert: 133.821,81 EUR) 1.960,40 EUR
2. Postentgeltpauschale, § 26 S. 2 BRAGO 20,00 EUR
3. 19 % Umsatzsteuer, § 25 BRAGO 376,28 EUR
Summe: 2.356,68 EUR

II. Mahnverfahren:

 
1. 1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 1008, 3305 VV RVG (Wert: 133.821,81 EUR) 1.960,40 EUR
Hierauf entsprechend Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG anzurechnen: 13/10 Prozessgebühr aus I.1. -1.960,40 EUR
Rest 0,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 3,80 EUR
Summe: 23,80 EUR

III. Hauptsacherechtsstreit:

 
1. 1,6 Verfahrensgebühr, Nr. 1008, 3100 VV RVG (Wert: 133.821,81 EUR) 2.412,80 EUR
2. 1,2 Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 133.821,81 EUR) 1.809,60 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 806,06 EUR
Summe: 5.048,46 EUR.

Insgesamt haben die Kl. Anwaltskosten in Höhe von 7.428,94 EUR zur Festsetzung angemeldet.

Die gegen die unterbliebene Anrechnung der Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens auf diejenige des Hauptsacheverfahrens gerichtete sofortige Beschwerde hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen:

[3] … II. Die sofortige Beschwerde ist begründet.

[4] Die Kl. haben zunächst zu Recht die Prozessgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens gemäß Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG auf die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens angerechnet.

[5] Gemäß Nr. 3305 VV RVG ist zudem die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Hauptsacheverfahrens anzurechnen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens durch die Anrechnung der Prozessgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens bereits "erloschen" ist. Dem Wortlaut der genannten Vorschrift kann nicht entnommen werden, dass – im Falle einer zuvor erfolgten Anrechnung – nur die verbleibende Gebühr auf einen nachfolgenden Rechtsstreit anzurechnen ist (BGH NJW 2011, 1368). Ansonsten entstünde das vom Gesetzgeber nicht gewollte Ergebnis, dass für den im Mahnverfahren und anschließend im Hauptsacheverfahren tätigen Rechtsanwalt mehr Gebühren festzusetzen wären, als für die Tätigkeit des Anwalts, der direkt das Hauptsacheverfahren betreibt (BGH a.a.O.).

[6] Die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens von 1.508,00 EUR nebst der Erhöhung von 452,40 EUR war deshalb auf die 1,3 Verfahrensgebühr des Hauptsacheverfahren von 1.960,40 EUR zuzüglich der Erhöhung von 452,40 EUR anzurechnen, so dass eine 0,3 Verfahrensgebühr i.H.v. 452,40 EUR verbleibt … .“

3 Anmerkung:

Das OLG Hamm hat in seiner Entscheidung nicht alle Probleme angesprochen.

I. Anwendbares Gebührenrecht

Das OLG Hamm ist ohne nähere Erörterung davon ausgegangen, dass dem Rechtsanwalt der Kl. die Vergütung für das selbstständige Beweisverfahren wegen des vor dem 1.7.2004 erteil...

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