Will der Geschädigte den Unfallwagen nicht selbst verwerten, stellt sich die Frage, ob er – wie von G zuletzt begehrt – wahlweise auch den vollen Wiederbeschaffungswert Zug um Zug gegen Herausgabe des Unfallwagens verlangen kann.

I. Meinungsbild

Mit Urteil vom 29.6.1965 entschied der VI. Zivilsenat des BGH, dass ein Autohändler das auf der Überführungsfahrt beschädigte Neufahrzeug dem Schädiger zur Verfügung stellen und Aufwendungsersatz für eine Ersatzbeschaffung verlangen kann.[5] Am 4.3.1976 urteilte der Senat, dass der Geschädigte ein nahezu neues Fahrzeug nicht in Kauf geben müsse, sondern dem Schädiger zur Verfügung stellen dürfe, nachdem weder der Schädiger noch seine Haftpflichtversicherung auf das Zurverfügungstellen irgendwie reagiert hätten.[6] Mit Urteil vom 14.6.1983 entschied der Senat – wieder in einem Fall der Neuwagenabrechnung –, der Geschädigte sei nicht grundsätzlich verpflichtet, sich auf einen Schadensersatzanspruch den Wert des beschädigten Kraftfahrzeugs anrechnen zu lassen. Das gelte auch gegenüber der Haftpflichtversicherung. Durch § 3 Nr. 1 S. 1 PflVG (a.F. = § 115 Abs. 1 S. 3 VVG n.F.) werde nur klargestellt, dass der Versicherer nicht verpflichtet werden könne, selbst den früheren Zustand wieder herzustellen. Der Anspruch aus § 249 S. 2 BGB (a.F. = § 249 Abs. 2 S. 1 BGB n.F.) werde dadurch jedoch nicht verkürzt. Mit Urteil vom 26.3.1985 bekräftigte der Senat – diesmal für ein rund 15 Jahre altes Fahrzeug –, dass der Geschädigte, "wie die Rechtsprechung stets betont hat", das total beschädigte Fahrzeug dem Schädiger zur Verwertung überlassen könne.[7] Die von dem Senat in jüngeren Urteilen geprägte Formulierung, der Geschädigte könne nur Ersatz des Wiederbeschaffungswerts abzüglich des Restwertes verlangen,[8] betraf hingegen stets Fälle, in denen der Geschädigte die Verwertung selbst übernommen hatte.

Die – wenige und zumeist ältere – Instanzrechtsprechung bejaht verbreitet ein Recht zur Andienung des Unfallwagens,[9] teilweise allerdings beschränkt auf Fälle der Alleinhaftung des Schädigers[10] oder auf Fälle, in denen der Geschädigte auf Neuwagenbasis abrechnen darf.[11] Andere Gerichte halten den Geschädigten für verpflichtet, den Unfallwagen im Rahmen der Schadensminderungspflicht selbst zu verwerten,[12] oder sehen durch die Andienung des Unfallwagens die Opfergrenze des Schädigers überschritten.[13]

Im Schrifttum finden sich sowohl Befürworter[14] als auch Gegner[15] eines Andienungsrechts. Auch unter den Befürwortern findet sich die Beschränkung auf Fälle der Alleinhaftung[16] oder auf Fälle, in denen ein Neuwagen beschädigt wurde.[17]

[5] BGH, Urt. v. 29.6.1965 – VI ZR 36/64, VersR 1965, 901 f.
[6] BGH, Urt. v. 4.3.1976 – VI ZR 14/75, VersR 1976, 732–734.
[7] BGH, Urt. v. 26.3.1985 – VI ZR 267/83, VersR 1985, 736–738.
[8] Vgl. die Entscheidungen o. Fn 2.
[9] Ähnlich etwa schon OLG Nürnberg, Urt. v. 25.9.1958 – 3 U 103/58, DAR 1959, 56 f.; OLG Hamburg, Urt. v. 28.11.1963 – 7 U 101/63, VersR 1964, 1175, 1176; KG, Urt. v. 29.11.1971 – 12 U 1168/71, DAR 1972, 43, 44; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 19.9.1984 – 17 U 265/83, DAR 1985, 58; LG Stuttgart, Urt. v. 26.8.1992 – 13 S 78/92, NJW-RR 1993, 672, 673; a.A. aber wohl OLG Hamburg, Urt. v. 12.7.1973 – 7 U 140/72, VersR 1974, 392, 393.
[10] So etwa OLG Köln, Urt. v. 12.11.1992 – 7 U 88/92, zfs 1993, 83–84.
[11] So etwa OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.11.1992 – 1 U 137/92, DAR 1994, 26, 28; OLG Köln, Urt. v. 12.11.1992 – 7 U 88/92, zfs 1993, 83, 84; LG Waldshut-Tiengen, Urt. v. 27.3.1997 – 2 S 105/96, VersR 1999, 202, 203.
[12] So OLG Celle, Beschl. v. 10.2.1977 – 5 W 27/76, VersR 1977, 1104; ähnlich auch schon KG, Urt. v. 25.11.1971 – 12 U 1127/71, VersR 1972, 355, 356.
[13] So etwa LG Itzehoe, Urt. v. 9. Oktober 1980 – 3 O 115/80, zfs 1982, 37.
[14] Vgl. Oetker in: MüKo, 6. Aufl. 2012, § 251 Rn 32; Schiemann in: Staudinger, Neubearb. 2005, § 251 Rn 53; Rüßmann in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 249 Rn 78; Lange in: Handbuch des Schuldrechts – Schadensrecht, 1979, § 6 XIII S. 244; Schubert in: BeckOK-BGB, Ed. 32, 2011, § 249 Rn 211; Ebert in: Erman, 14. Aufl. 2014, § 249 Rn 92; Grunsky, JZ 1992, 806, 807; Gehrlein in: Budewig/Gehrlein/Leipold, Der Unfall im Straßenverkehr, 2008, 20. Kap. Rn 43; Grüneberg in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 249 Rn 17.
[15] Vgl. Jordan, VersR 1978, 688, 696; Giesen, NJW 1979, 2065, 2070; Klimke, VersR 1984, 1123, 1124; Fleischmann, zfs 1989, 1, 4; Kliemke in: Himmelreich/Halm/Bücken, Kfz-Schadensregulierung, Erg.-Lieferung September 1994, Rn 1056; nicht eindeutig Sanden/Völtz, Sachschadenrecht des Kraftverkehrs, 8. Aufl. 2006, Rn 99.
[16] So etwa Klimke, VersR 1984, 1123 f.; Klimke in: Himmelreich/Klimke/Bücken (o. Fn 14) Rn 1056; Mertens in: Soergel, BGB, 12. Aufl. 1990, § 249 Rn 90 Fn 49; wohl auch König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 12 StVG Rn 8.
[17] So Halm/Fritz in: Himmelreich/Halm/Staab, Handbuch der Kfz-Schadensregulierung, 2. Aufl. 2012, Kap. 11, Rn 90; wohl auch Knerr in: Geigel, Der Haftpfl...

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