Die Verteidigung ist vor dem Hintergrund des Dargestellten oftmals gezwungen, auf Privatgutachter auszuweichen. Ein Privatsachverständigengutachten ist zum einen anzuraten, wenn das Gericht die Einholung eines Gutachtens verweigert. Aber auch, wenn ein gerichtlich eingeholtes Gutachten – mit nachteiligem Ergebnis für den Betroffenen – bereits vorliegt, kommt der Betroffene nicht umhin, zu seiner Entlastung und Entkräftung der u.U. nicht sorgfältig gewonnenen Ergebnisse des gerichtlich bestellten Gutachters ein privates Gegengutachten zur Messung bzw. Ladungssicherung oder zum Verkehrsunfall in Auftrag zu geben. Dem Rechtsanwalt wird es nur bei offenkundigen Fehlern im ersten Gutachten gelingen, dieses zu entkräften. Zwar muss der Betroffene im Bußgeldrecht nicht seine Unschuld nachweisen, sondern die Strafverfolgungsorgane dem Betroffenen eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht (§ 1 Abs. 1 OWiG). Die Zeichen stehen hier jedoch ohne Privatgutachten in beiden Szenarien auf Verurteilung.

Angesichts der Bearbeitungszeit von mehreren Wochen durch den Privatgutachter ist es notwendig, diesen rechtzeitig zu beauftragen, damit die Ergebnisse in einem Bußgeldverfahren in erster Instanz zugunsten des Betroffenen noch berücksichtigt werden können. Bei einem unfallanalytischen Gutachten sollte nicht nur das Fahrzeug des Betroffenen noch zur Verfügung stehen, meist ist es auch notwendig, die Unfallspuren beim unfallgegnerischen Pkw zu untersuchen, um zur Wahrnehmbarkeit Stellung zu nehmen. Der Privatgutachter muss je nach Einzelfall unter Umständen Lichtbilder bei den Kfz-Versicherungen anfordern, wenn die Qualität der Fotoaufnahmen der Polizei aus der Akte der Bußgeldstelle nicht ausreicht. Kommt das Privatgutachten zu vorteilhaften Ergebnissen, sollte es rechtzeitig vor dem Gerichtstermin eingereicht werden. Die Verteidigung muss auf einer Ladung des Privatgutachters bestehen, ansonsten wird der Antrag der Verteidigung auf Ladung seiner Person oftmals unbeachtet gelassen. Weigert sich das Gericht, den Privatsachverständigen zu laden, etwa mit dem Argument, es sei bereits ein Gutachter gerichtlich bestellt worden, kommt die Verteidigung nicht umhin, über die Vorschriften des Selbstladungsverfahrens gem. §§ 220, 38 StPO i.V.m. § 46 OWiG vorzugehen.[8] Hierdurch kann die Ladung und Vernehmung des vom Betroffenen in Auftrag gegebenen Privatgutachters letztlich erzwungen werden.

[8] Fromm, SVR 2011, 132 ff.

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