RVG § 14

Leitsatz

1. Die Bestimmung von Mittelgebühren in einer Verkehrsstrafsache ist angemessen, wenn zwar Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit unterdurchschnittlich waren, die Angelegenheit aber für den Angeklagten wegen einer zu erwartenden Freiheitsstrafe, die nicht mehr zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können, von hoher Bedeutung war.

2. Die von dem Rechtsanwalt getroffene Gebührenbestimmung ist dann unbillig i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG, wenn die verlangte Gebühr um mehr als 20 Prozent über der angemessenen Gebühr liegt.

(Leitsätze der Schriftleitung)

LG Stralsund, Beschl. v. 25.9.2015 – 26 Qs 186/15

Sachverhalt

Dem Angeklagten wurde aufgrund der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stralsund in dem Strafverfahren vor dem AG Bergen u.a. vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis und ein Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz zur Last gelegt. In diesem Verfahren ließ sich der Angeklagte durch seinen Wahlverteidiger, Rechtsanwalt T., vertreten. Dieses Strafverfahren hat das AG Bergen später durch Beschluss mit einem weiteren gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. In dem verbundenen Verfahren hat das AG Bergen dem Angeklagten Rechtsanwalt T. als notwendiger Verteidiger beigeordnet. Nach Beweisaufnahme wurde der Angeklagte im verbundenen Verfahren von allen Anklagepunkten freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens wurden der Staatskasse auferlegt. Rechtsanwalt T. beantragte – soweit hier von Interesse – die Festsetzung der dem Angeklagten zu erstattenden Wahlverteidigerkosten i.H.v. insgesamt 677,71 EUR. Bei der Bestimmung der beanspruchten Grund- und Verfahrensgebühren (§ 14 Abs. 1 RVG; Nr. 4100, 4104 und 4106 VV RVG) setzte er jeweils die Mittelgebühr an.

Mit dem angefochtenen Beschl. v. 25.6.2015 setzte die Rechtspflegerin des AG die aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen des Wahlverteidigers auf 362,26 EUR fest. Den Mehrbetrag i.H.v. 315,35 EUR setzte sie mit der Begründung ab, die jeweils angesetzten Mittelgebühren seien unbillig i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG. Aufgrund der geringen Bedeutung der Sache für den Angeklagten und der unterdurchschnittlichen Tätigkeit des Verteidigers sei die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG nur i.H.v. 100 EUR und die Verfahrensgebühren nach Nr. 4104 und 4106 VV RVG nur i.H.v. jeweils 82,50 EUR zu erstatten.

Mit seiner hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat der Angeklagte den Ansatz der Mittelgebühren verteidigt. Aufgrund seiner zahlreichen und einschlägigen Vorstrafen habe die Verhängung einer Freiheitsstrafe gedroht, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt worden wäre. Mit Beschl. v. 8.9.2015 half die Rechtspflegerin des AG Bergen der sofortigen Beschwerde teilweise ab und setzte die Grundgebühr statt auf 100 EUR nunmehr auf 140 EUR zzgl. Mehrwertsteuer fest. Wegen der weitergehenden Beschwerde legte sie die Sache dem LG Stralsund zur Entscheidung vor.

2 Aus den Gründen:

" … II. Die gem. § 464b S. 3 StPO, § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPfIG gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss statthafte sofortige Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt; der Beschwerdewert nach § 304 Abs. 3 StPO ist – auch unter Berücksichtigung des Umfangs der Teilabhilfeentscheidung vom 8.9.2015 – überschritten."

Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Zu Unrecht ist mit dem angefochtenen Beschluss eine Kürzung vorgenommen worden. Dem Angeklagten sind die von seinem Verteidiger geltend gemachten Gebühren und Auslagen in voller Höhe zu erstatten.

In welcher Höhe eine dem Rechtsanwalt für seine Tätigkeit dem Grunde nach zustehende Rahmengebühr erstattungsfähig ist, hängt von den in § 14 RVG aufgeführten Umständen ab (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 464a Rn 11).

Ausgangspunkt für die Gebühr, die der Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen hat, ist nach überwiegend vertretener Auffassung grds. der Mittelbetrag der einschlägigen Rahmengebühr (Hartmann, KostG, 45. Aufl., § 14 RVG Rn 14). Die Mittelgebühr soll gelten, wenn sämtliche gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände, also insb. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers, als durchschnittlich einzuordnen sind. Sie gilt wegen der vorzunehmenden Gesamtabwägung aber auch, wenn erhöhende und vermindernde Bemessungskriterien etwa gleichgewichtig sind oder wenn ein Bestimmungsmerkmal ein solches Übergewicht erhält, dass dadurch das geringere Gewicht mehrerer anderer Merkmale kompensiert wird.

Bei der Abwägung der zu berücksichtigenden Merkmale und der sich daran anschließenden Bestimmung der Gebühren räumt die Vorschrift des § 14 Abs. 1 RVG dem Rechtsanwalt ein weites billiges Ermessen ein (Hartmann, a.a.O., § 14 RVG Rn 21); die von ihm getroffene Bestimmung ist, wenn...

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