Dass seinen Kraftfahrtversicherungsschutz gefährdet, wer sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, ist nichts Neues. Neu – und einen Graben zwischen Strafrecht und Versicherungsvertragsrecht aushebend – scheint nur zu sein, was unter dem unerlaubten Entfernen zu verstehen ist. Das OLG Stuttgart hatte über einen Entschädigungsanspruch eines vollkaskoversicherten VN zu entscheiden, der nachts einen Unfall mit einem, wie er in Kauf nahm, belangvollen Fremdschaden verursacht hatte und nach maximal 15 Minuten die Unfallstelle floh, ohne sich unverzüglich der nächsten Polizeidienststelle oder dem Geschädigten als Unfallbeteiligter vorzustellen. In einem solchen Fall die Strafbarkeit nach § 142 Abs. 1, 2 StGB und die Leistungsfreiheit nach § 28 Abs. 1, 2 VVG zu begründen, ist an sich nicht schwierig. Es ist schon fraglich, ob selbst nachts 15 Minuten als Wartezeit ausreichen (vgl. Fischer, StGB, § 142 Rn 27, 28; OLG Zweibrücken VRS 82,117: 20 Minuten genügen bei einem geringen Schaden; OLG Nürnberg zfs 1993, 234: 30 Minuten genügen bei einem Schaden von rund 2.100 DM). Jedenfalls hatte der VN versäumt, sich spätestens am nächsten Morgen bei der Polizei oder dem Eigentümer der beschädigten Mauer zu melden, sich also – jedenfalls – nach § 142 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.

Jedoch gilt heute nicht mehr, dass sich eine Obliegenheitsverletzung des VN (nur) dann ergibt, wenn er den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 142 Abs.1, 2 StGB erfüllt hat. Die – neu formulierte – Obliegenheit der AKB 2008 E 1.3., den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, enthält nunmehr eine eigenständige versicherungsvertragliche Regelung, die den Rückgriff auf das StGB überflüssig macht, wenn sie ihn nicht gar untersagt. Das OLG Stuttgart hat nun – an sich ohne Not – darauf hingewiesen, dass diese Obliegenheit anderes, besser gesagt: mehr, vom VN zu verlangen scheint als § 142 StGB von jedem Unfallbeteiligten. Fraglich ist also, ob AKB 2008 E 1.3. – wie es aus der einen oder anderen Formulierung der abgedruckten Entscheidung und dem offenen Wortlaut der Klausel folgen könnte – dem VN verbietet, sich auf den Ablauf einer Wartezeit zu berufen, ihm also auferlegt, bis zu den Grenzen der Unzumutbarkeit am Unfallort zu verharren, und ob ihm (damit) gar über eine Duldungspflicht hinaus Handlungspflichten – zum Herbeirufen der Polizei beispielsweise, um zu "ermöglichen", seine Fahrtüchtigkeit feststellen zu lassen – auferlegt werden (so wohl Prölss/Martin/Knappmann, AKB 2008 E 1 Rn 21; anders wohl Feyock/Jacobsen/Lemor, AKB 2008 E Rn 20; Stiefel/Maier, AKB E Rn 136).

Eine Teilantwort hat – entgegen der Auffassung des OLG Stuttgart – der BGH in seiner Entscheidung v. 21.11.2012 (NJW 2013, 936) gegeben. Zwar lässt sich der Entscheidung nur inzident entnehmen, dass der VN eine gewisse Zeit an der Unfallstelle (bis zum Abschleppen seines Kfz) gewartet hatte. Der BGH hat es jedenfalls (völlig zu Recht) für ausreichend erachtet, dass der VN sich – unverzüglich – statt an die in § 142 Abs. 2 StGB Genannten an seinen VR gewandt und sich ihm als Beteiligter eines Unfalls vorgestellt und diesem damit Gelegenheit zu weiteren Weisungen gegeben hatte. Damit wäre eine Auslegung der Klausel AKB E 1.3., die ein Entfernen nach Ablauf einer Wartezeit oder jedenfalls vor einer rechtzeitigen Feststellung einer Alkoholisierung verböte, unvereinbar.

Gegen eine Erweiterung der Obliegenheiten des VN gegenüber der früheren Rspr. spricht zunächst, dass ein VN die Aufklärung des spezifischen Versicherungsfalls Unfall auch "ermöglicht", wenn er sich als Unfallbeteiligter zu erkennen gibt und für Feststellungen passiv zur Verfügung hält. Die Klausel ist also nach ihrem Wortlaut auch zugunsten des VN auslegungsfähig; darauf wird er sich berufen dürfen. Darüber hinaus und vor allem aber ist einem VN bewusst, was das Gesetz von ihm nach einem Verkehrsunfall verlangt. Hält er sich daran, wäre es mehr als überraschend, würde ihm vorgehalten, sein Versicherungsvertrag verlange etwas Anderes als das Gesetz, vor allem, wenn dieses Andere reichlich absurde Folgen haben könnte wie eine Verewigung der Wartepflicht, oder wenn ihm entgegen dem allgemeinen Rechtsbewusstsein auferlegt würde, doch die Polizei in jedem Fall zu verständigen. Selbst wenn man dies anders sähe: Könnte man einem VN, der – unwiderlegbar – behauptet hat, er habe eine ausreichende Zeit am Unfallort gewartet, wirklich als in ungewöhnlich hohem Maße sorgfaltswidrig, als schlechthin unentschuldbar vorhalten (nur dann schadet eine Obliegenheitsverletzung versicherungsvertraglich), er habe sich nach angemessener (passiv verbrachter) Wartezeit entfernt und dann die Erfordernisse des § 142 Abs. 2 StGB beachtet oder seinen VR unverzüglich unterrichtet? Ganz sicher nicht.

Aber ohnehin spricht alles dafür anzunehmen, dass AKB 2008 E 1.3. zwar eine versicherungsvertraglich eigenständige Obliegenheit ist, deren Rechtsfolgen sich nach § 28 VVG bestimmen. Ihr Inhalt und ihre Grenzen stimm...

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