[7] “1. Das BG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Bekl. zu 1, für dessen Haftpflicht das beklagte Land einzustehen hat, den Verkehrsunfall und den daraus entstandenen Schaden der Kl. schuldhaft dadurch verursacht hat; dass er unter Verletzung der gem. § 10 S. 1 StVO geforderten Sorgfalt von dem Behördenparkplatz kommend in die F.-Straße nach rechts einbog, ohne den entgegenkommenden Pkw der Kl. durchfahren zu lassen, die ihr Vorrecht nicht deshalb verloren hatte, weil sie über der Fahrbahnmitte fuhr (vgl. Senat, Urt. v. 13.11.1990 – VI ZR 15/90, VersR 1991, 352; BGH, Urt. v. 19.9.1974 – III ZR 73/72, VersR 1975, 37, 38 f.).

[8] a) § 10 S. 1 StVO legt dem aus einem Grundstück auf die Straße einfahrenden Fahrzeugführer gesteigerte Pflichten auf. Die Pflichten werden nicht dadurch gemindert, dass der Vorfahrtsberechtigte unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot die linke Straßenseite benutzt. Das Vorfahrtsrecht der auf der Straße fahrenden Fahrzeuge gegenüber einem auf eine Straße Einfahrenden gilt grds. für die gesamte Fahrbahn. Der aus einem Grundstück kommende Fahrzeugführer hat sich grds. darauf einzustellen, dass der ihm gegenüber Vorfahrtsberechtigte in diesem Sinne von seinem Recht Gebrauch macht (vgl. Senatsurt. v. 13.11.1990 – VI ZR 15/90, a.a.O.; v. 19.5.1981 – VI ZR 8/80, VersR 1981, 837; v. 11.1.1977 – VI ZR 268/74, VersR 1977, 524, 526; BGH, Urt. v. 19. September·1974 – III ZR 73/72, a.a.O. m.w.N.; OLG Bamberg, VersR 1987, 1137). Selbst das Befahren der linken Fahrbahn beseitigt nicht die Verpflichtung des Einfahrenden, dem fließenden Verkehr den Vorrang zu belassen und diesen nicht zu behindern (vgl. Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 10 StVO Rn 18).

[9] Die Verletzung des Vorfahrtsrechts durch den in die Straße Einfahrenden indiziert sein Verschulden (vgl. Senatsurt. v. 13.11.1990 – VI ZR 15/90 und BGH, Urt. v. 19.9.1974 – III ZR 73/72 jeweils a.a.O.). Wahrt der Einfahrende das Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs nicht und kommt es deshalb zu einem Unfall, hat er in der Regel, wenn keine Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfang oder doch zum größten Teil für die Unfallfolgen zu haften (Senatsurt. v. 13.11.1990 – VI ZR 15/90, a.a.O.; OLG Karlsruhe, VersR 1977, 673; OLG Frankfurt am Main, VersR 1994, 1203, 1204 mit Nichtannahmebeschl. des erkennenden Senats vom 15.3.1994 – VI ZR 220/93 und·OLG Celle, NJW-RR 2003, 1536, 1537; vgl. Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl. Rn 68; Nugel, DAR 2009, 346, 350). Demgegenüber darf der sich im fließenden Verkehr bewegende Vorfahrtsberechtigte, sofern nicht Anzeichen für eine bestehende Vorfahrtsverletzung sprechen, darauf vertrauen, dass der Einbiegende sein Vorrecht beachten werde (vgl. Senatsurt. v. 25.3.2003 – VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 785; BGH, Urt. v. 19.9.1974 – III ZR 73/72, a.a.O.).

[10] b) Nach diesem im Straßenverkehr allgemein geltenden Vertrauensgrundsatz konnte die Kl. sich grds. darauf verlassen, dass der Fahrer des VW-Busses ihr Vorfahrtsrecht beachten und sie vorbeilassen würde, ehe, er in die F.-Straße einbiegen würde (vgl. BGH, Beschl. v. 12.7.1954 – VGS 1/54, BGHZ 14, 232, 235 f.; Senatsurt. vom 4.10.1966 – VI ZR 23/65, VersR 1966, 1157; vom 20.12.1966 – VI ZR 3/65, VersR 1967, 283, 284). Soweit der Kl. der Vertrauensgrundsatz zur Seite stand, brauchte sie nicht vorherzusehen, dass ihre. Fahrweise zu einem Unfall führen würde. Sie handelte mithin auch nicht fahrlässig.

[11] c) Das Recht sich auf den Vertrauensgrundsatz zu berufen, hat die Kl. nicht deshalb eingebüßt, weil sie pflichtwidrig zu weit links gefahren ist. Das Rechtsfahrgebot, gegen das die Kl. nach den insoweit nicht beanstandeten Feststellungen des BG verstoßen hat, soll sicherstellen, dass Fahrzeuge sich gefahrlos begegnen und überholen können. Es dient also dem Schutz der Verkehrsteilnehmer, die sich in Längsrichtung auf derselben Straße bewegen. Hingegen sollen nach st. Rspr. des BGH solche Verkehrsteilnehmer nicht geschützt werden, die diese Straße überqueren oder – wie der Bekl. zu 1 – in sie einbiegen wollen (vgl. Senat, Urt. v. 4.2.1953 – VI ZR 70/52, BGHZ 9, 6, 11 f.; v. 15.11.1996 – VI ZR 57/65, VersR 1967, 157; BGH, Urt. v. 19.9.1974 – III ZR 73/72 a.a.O.). Die Kl. durfte mithin weiterhin darauf vertrauen, der Bekl. zu 1 werde ihr Vorfahrtsrecht beachten, obwohl sie gegen das Rechtsfahrgebot verstieß.

[12] Der Vertrauensgrundsatz gilt. zugunsten des Vorfahrtsberechtigten allerdings nicht mehr, sobald dieser aus besonderen Umständen erkennt oder bei gebotener Sorgfalt erkennen kann, dass ihm der Wartepflichtige die Vorfahrt nicht einräumen wird (vgl. BGH, Urt. v. 19.9.1974 – III ZR 73/72, a.a.O. m.w.N.). Dabei gilt, dass der Vorfahrtsberechtigte mit der Missachtung seines Vorrechts solange nicht zu rechnen braucht, wie der Wartepflichtige noch die Möglichkeit hat; sein Fahrzeug durch eine gewöhnliche Bremsung rechtzeitig anzuhalten, so dass der Vorfahrtsberechtigte ungefährdet vor ihm vorüberfahren kann. Erst wenn di...

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