"… II. … Die – zum Teil nach Zulassung – statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat – vorläufig – Erfolg."

Die auf die Sachrüge hin veranlasste Prüfung des angefochtenen Urt. durch das Rechtsbeschwerdegericht ergibt einen durchgreifenden Fehler hinsichtlich der Beweiswürdigung. Das angefochtene Urt. hält den Anforderungen an die Darstellung eines anthropologischen Identitätsgutachtens in den schriftlichen Urteilsgründen nicht stand.

Nach st. Rspr. des BGH muss das Tatgericht, das ein nicht auf einem standardisierten Verfahren fußendes Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wiedergeben, um dem Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (siehe BGH, Urt. v. 20.3.1991 – 2 StR 610/90, NStZ 1991, 596; Urt. v. 26.5.1999 – 3 StR 110/99, BGHR StPO, § 261 Beweiswürdigung 20).

Im vorliegenden Fall wurde ein anthropologisches Identitätsgutachten anhand von Tatfotos erstattet. Bei einem solchen Gutachten werden in aller Regel anhand von Lichtbildern eine bestimmbare Zahl deskriptiver morphologischer Merkmale oder von Körpermaßen des Täters herausgearbeitet und mit den entsprechenden Merkmalen des Tatverdächtigen verglichen. Die morphologischen Merkmale sind nicht eindeutig bestimmbar. Zwischen den Klassifizierungen von Einzelmerkmalen besteht ein gleitender Übergang, weswegen in der Regel keine genauen Angaben über die Häufigkeit der Merkmale in der Bevölkerung, der die zu identifizierende Person angehört, gemacht werden können. Weitere Beeinträchtigungen des Beweiswertes können u.a. durch Vermummung, Grimassierung oder Bartbildung erfolgen. Aufgrund dieser “weichen' Kriterien ist die Abschätzung der Beweiswertigkeit nach der persönlichen Erfahrung eines Sachverständigen subjektiv; graduelle Abweichungen sind zwischen verschiedenen Sachverständigen möglich (so BGH, Urt. v. 15.2.2005 – 1 StR 91/4, NStZ 2005, 458, 459). Anders als bei Gutachten zur Blutalkoholanalyse oder zur Bestimmung von Blutgruppen handelt es sich deshalb um kein standardisiertes Verfahren (so BGH, Urt. v. 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NStZ 2000, 106, 107).

Liegt der abschließenden Aussage des anthropologischen Identitätsgutachtens eine Wahrscheinlichkeitsberechnung zugrunde, verlangt der BGH Angaben im Urt. dazu, auf welches biostatistische Vergleichsmaterial sich die Wahrscheinlichkeitsberechnung stützt, damit beurteilt werden kann, ob dieses Vergleichsmaterial im Hinblick auf die Bevölkerungsabgrenzung, die Größe des Probandenkreises und das wegen der Akzeleration der Bevölkerung bedeutsame Alter der Untersuchung repräsentativ ist, also das Vorkommen des einzelnen Merkmals in der Bevölkerung zur Tatzeit zutreffend widerspiegelt oder ob es sich nur um mehr oder weniger genaue, den Beweiswert der Wahrscheinlichkeitsaussage relativierende Anhaltswerte handelt (BGH, Urt. v. 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NStZ 2000, 106, 107; BGH, Urt. v. 26.5.1999 – 3 StR 110/99, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20). Zum Beweiswert der durch eine Wahrscheinlichkeitsberechnung ermittelten Wahrscheinlichkeitszahlen merkt der BGH in diesem Zusammenhang allerdings an, dass diese Wahrscheinlichkeitszahlen in der Regel nur als Anhaltswerte verstanden werden dürfen, weil die ihnen zugrunde liegenden Häufigkeiten – sowohl hinsichtlich der Merkmalsdefinition als auch der Bevölkerungsabgrenzung – nur geschätzt werden können (BGH, Urt. v. 26.5.1999 – 3 StR 110/99, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20).

Dieser Rspr. hat sich der Senat in der Vergangenheit angeschlossen und sie dahin verstanden, dass das Urt. des Tatgerichts in jedem Falle der Verwertung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens Aussagen zur Häufigkeit des Vorkommens der zur Identifikation des Täters herangezogenen morphologischen Merkmale in der Bevölkerung enthalten müsse (siehe etwa Senatsbeschl. v. 24.3.2006 – 1 Ss 57/06, VRS 110 (2006), 424, 425 f [= zfs 2006, 475], Senatsbeschl. v. 30.9.2008 – 1 Ss 187/08, NZV 2009, 246, 247 [= zfs 2009, 228]).

Daran hält der Senat nicht fest.

Angaben zum Verbreitungsgrad der der Beurteilung der Identität zugrunde gelegten morphologischen Merkmale im Urt. sind nur dann geboten, wenn der Sachverständige eine Wahrscheinlichkeitsberechnung angestellt und daraus unmittelbar das Ergebnis des Gutachtens abgeleitet hat. Denn allein in diesem Fall bedarf es der Kenntnis der in die Berechnung eingestellten Rechengrößen, um die Richtigkeit der Berechnung überprüfen und die Berechnung nachvollziehen zu können (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 26.5.2008 – 3 Ss OWi 793/07, bei juris, und Beschl. v. 30.9.2008 – 3 Ss 178/08, StraFo 2009, 109, 110). Eine andere Frage ist, ob eine solche Wahrscheinlichkeitsberechnung überhaupt wissenschaftlich fundiert möglich ist.

Gelangt der Sachverständige dagegen auf anderem W...

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