StGB § 315c Abs. 1 Nr. 1a)

Leitsatz

Lässt sich nicht ausschließen, dass der Angekl. in Suizidabsicht gezielt auf die Gegenfahrbahn fuhr, ist mit Blick auf den Zweifelssatz kein Raum für die Annahme eines auf die alkoholische Beeinflussung zurückzuführenden Fahrfehlers als eindeutige Ursache für eine spätere Kollision. Eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung kommt deshalb nicht in Betracht.

BGH, Beschl. v. 19.11.2013 – 4 StR 352/13

Sachverhalt

Der BGH hat auf die Revision des Angekl. das Urteil des LG aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer des LG zurückverwiesen.

2 Aus den Gründen:

[1] Das LG hat den Angekl. wegen fahrlässiger Körperverletzung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angekl. mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

[2] Nach den Feststellungen fuhr der alkoholisierte Angekl., der eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,27 ‰ aufwies, in M. mit seinem Pkw Ford Fiesta bei Dunkelheit auf der vierspurigen Bundesstraße B 91, deren zwei Fahrbahnen im dortigen Bereich von einem mit Leitplanke versehenen Mittelstreifen getrennt werden. An einer nicht näher festgestellten Stelle im Straßenverlauf – möglicherweise an einer der verschiedenen Kreuzungen oder bei einer 1,7 km vom späteren Kollisionsort entfernt gelegenen Tankstelle – gelangte der Angekl. aufgrund eines alkoholbedingten Fahrfehlers auf die Gegenfahrbahn der Bundesstraße. Als er die Überholspur der Gegenfahrbahn entgegen der Fahrtrichtung mit einer Geschwindigkeit von etwa 74 km/h mit eingeschaltetem Fernlicht befuhr, kam ihm auf derselben Fahrspur der Geschädigte, der mit seinem Pkw Nissan Almera gerade ein anderes Fahrzeug überholt hatte, mit einer Geschwindigkeit von 63 bis 71 km/h entgegen. Beide von ihren Fahrern jeweils noch in Richtung Fahrbahnmitte gelenkten Fahrzeuge stießen ungebremst in der Fahrbahnmitte zusammen. Infolge der Kollision trugen sowohl die drei Insassen des Pkws des Geschädigten als auch der Angekl. erhebliche Verletzungen davon.

[3] Die Verurteilung wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Annahme, der Angekl. sei aufgrund eines alkoholbedingten Fahrfehlers auf die Gegenfahrbahn gelangt, einer tragfähigen Begründung im Rahmen der Beweiswürdigung entbehrt.

[4] Ausführungen zu den die Annahme eines alkoholbedingten Fahrfehlers in tatsächlicher Hinsicht tragenden Erwägungen des LG sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die Strafkammer hat die Umstände, unter denen der Angekl. auf die Gegenfahrbahn geriet, nicht näher aufklären können. Die Möglichkeit, dass er sein Fahrzeug bewusst auf die Gegenfahrbahn steuerte, um in Suizidabsicht einen Zusammenstoß herbeizuführen, hat sie "nicht als zweifelsfrei erwiesen" angesehen, weil die für eine Suizidabsicht zum Tatzeitpunkt sprechenden Indizien für eine entsprechende Feststellung nicht ausgereicht hätten. Damit hat die Strafkammer die Möglichkeit eines Suizidversuchs des Angekl. indes nicht sicher ausgeschlossen. Lässt sich aber nicht ausschließen, dass der Angekl. gezielt auf die Gegenfahrbahn fuhr, ist mit Blick auf den Zweifelssatz für die Annahme eines auf die alkoholische Beeinflussung zurückzuführenden Fahrfehlers als eindeutige Ursache für die spätere Kollision kein Raum.

[5] Die Sache bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. Sofern in der neuen Hauptverhandlung der zur Kollision führende Geschehensverlauf nicht eindeutig zu klären ist, wird eine Verurteilung auf alternativer Tatsachengrundlage (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 18.8.1983 – 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 56 f.; Urt. v. 10.2.2011 – 4 StR 576/10, NStZ 2011, 460) zu prüfen sein.“

3 Anmerkung:

Eine lehrreiche Entscheidung zur exakten Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen. Nur bei eindeutig festgestellter Kausalität zwischen Alkoholisierung und Gefährdung ohne daneben verbleibenden vernünftigen Zweifeln kann von einer Strafbarkeit des § 315c StGB ausgegangen werden.

Die durch den BGH am Ende dezent mitgeteilte Handlungsanweisung dürfte dem LG sicher etwas Kopfzerbrechen bereiten. Denn die Wahlfeststellung ist schon während der juristischen Ausbildung eine hohe gedankliche Hürde, in der Praxis wird sie nicht einfacher handhabbar. Die Grundgedanken der Wahlfeststellung liegen dabei in der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit der zur Auswahl stehenden Tatbestände. Unter Annahme einer suizidalen Fahrt könnte man einen Tötungs-, ggf. sogar Mordversuch (bei ausgeschaltetem Frontlicht z.B.) annehmen, dazu eine gefährliche Körperverletzung, vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr, einen vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr in der Variante der absichtlichen Herbeiführung (Verweisung § 315...

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