Die Grundregel findet sich in § 2 Abs. 4 StVO: "Mit Fahrrädern muss einzeln hintereinander gefahren werden; nebeneinander darf nur gefahren werden, wenn dadurch der Verkehr nicht behindert wird. Eine Pflicht, Radwege in der jeweiligen Fahrtrichtung zu benutzen, besteht nur, wenn dies durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist. Rechte Radwege ohne die Zeichen 237, 240 oder 241 dürfen benutzt werden. Linke Radwege ohne die Zeichen 237, 240 oder 241 dürfen nur benutzt werden, wenn dies durch das allein stehende Zusatzzeichen "Radverkehr frei" angezeigt ist. Wer mit dem Rad fährt, darf ferner rechte Seitenstreifen benutzen, wenn keine Radwege vorhanden sind und zu Fuß Gehende nicht behindert werden. Außerhalb geschlossener Ortschaften darf man mit Mofas Radwege benutzen."

Leider halten sich Radfahrer nicht immer an diese Vorschrift. Oft befahren Sie aus Bequemlichkeit oder aus anderen Gründen einen Radweg entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Kommt es zum Unfall, können sie bei Gericht unter Umständen sogar auf Verständnis stoßen, jedenfalls in Hamm, denn im Leitsatz eines Urteils des Oberlandesgerichts Hamm aus dem Jahr 1997[54] heißt es: "Der Autofahrer, der nach rechts in eine Vorfahrtstraße abbiegt und dabei einen Radweg kreuzt, muss damit rechnen, dass der Radweg vorschriftswidrig in falscher Richtung befahren wird. Auch bei Nichtfreigabe kann der Radfahrer dafür nachvollziehbare Gründe haben (hier: vierspurige Straße mit Absperrung auf dem Mittelstreifen mit der Folge erheblicher Umwege bei der Benutzung des rechten Radweges)."

Dagegen bringt man in Bremen nicht so viel Verständnis für die Nöte der Radfahrer auf. Das OLG Bremen ist nämlich der Auffassung, dass Radfahrer, die entgegen § 2 Abs. 4 S. 2 StVO einen für die Gegenrichtung nicht freigegebenen links neben der Fahrbahn einer Hauptstraße verlaufenden Radweg befahren, gegenüber den aus untergeordneten Nebenstraßen von rechts einbiegenden Verkehrsteilnehmern keine Vorfahrt haben.[55] Das OLG Bremen widerspricht ausdrücklich der Auffassung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs[56] und meint, sich für seine Auffassung auf eine Entscheidung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs stützen zu können. Es übersieht dabei allerdings, dass diese Entscheidung einen besonderen Fall betraf, nämlich den Radweg einer Einbahnstraße, wie sich schon aus dem Leitsatz ergibt: "Wer Einbahnstraßen und diesen zugeordnete Radwege in der gesperrten Richtung befährt, hat auch gegenüber aus untergeordneten Straßen einmündenden oder kreuzenden Verkehrsteilnehmer keine Vorfahrt."[57]

Dem hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nicht widersprochen. Er hat gesehen, dass die Entscheidung des VI. Zivilsenats sich nur auf Einbahnstraßen bezog. Ein Radweg, der neben einer in beiden Richtungen zu befahrenden Straße verläuft, ist aber keine Einbahnstraße, auch wenn der Radweg selbst nur in einer Richtung befahren werden darf. Der Leitsatz der Entscheidung des 4. Strafsenats lautet: "Ein Radfahrer auf der Vorfahrtstraße behält auch dann sein Vorfahrtrecht gegenüber kreuzenden oder einbiegenden Fahrzeugen, wenn er den linken von zwei vorhandenen Radwegen benutzt, der nicht nach § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO für die Gegenrichtung freigegeben ist."[58]

Die Frage der Vorfahrt eines in der falschen Richtung auf dem Radweg einer bevorrechtigten Straße fahrenden Radfahrers ist nach wie vor streitig.[59] In der Praxis scheint diese Frage allerdings gar nicht eine so große Bedeutung zu haben, wie man zunächst meinen könnte. Denn unabhängig davon, ob der auf der falschen Seite fahrende Radfahrer Vorfahrt hat, dürfte es im Falle einer Kollision regelmäßig zu einer Haftungsteilung kommen. Im Rahmen der Abwägung könnte es allerdings für die Haftungsquote von Bedeutung sein, ob der Radfahrer bevorrechtigt war oder nicht.

Um die Haftungsquote ging es auch in einem ähnlich gelagerten Fall, über den kürzlich das Landgericht Münster zu entscheiden hatte: Eine 59 Jahre alte Radfahrerin fuhr auf dem linken Radweg einer Straße, also entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Ein 14jähriger Radfahrer kam für sie von links aus dem verkehrsberuhigten Bereich einer Querstraße, um nach rechts auf den Radweg abzubiegen. Die Sicht im Einmündungsbereich, in dem sich ein kleines Mädchen auf einem Einrad aufhielt, war durch Sträucher eingeschränkt. Es kam zum Zusammenstoß der beiden Radfahrer. Die Radfahrerin kam zu Fall und zog sich Verletzungen zu. Das LG Münster gab ihrer Klage mit einer Haftungsquote von 50 % statt. Dagegen legte die Radfahrerin Berufung ein mit dem Ziel einer vollumfänglichen Haftung des Unfallgegners. Das Rechtsmittel hatte teilweise Erfolg und führte zu einer Haftungsquote von 2/3. Das Oberlandesgericht Hamm[60] meinte, eine Haftungsquote von 50 : 50 werde dem Unfallgeschehen nicht gerecht. Den 14-jährigen treffe vielmehr ein überwiegendes Verschulden. Er habe gegen § 10 StVO verstoßen. In dieser Vorschrift heißt es: "Wer … aus einem verkehrsberuhigten Bereich … auf die Straße … auf di...

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