Der BGH hat sich leider keine großen Gedanken gemacht, welche praktischen Auswirkungen seine auf § 242 BGB gestützte Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren haben kann. Denn nicht immer ist die Verfahrenslage halbwegs so übersichtlich, wie in dem vom BGH entschiedenen Fall. Vielmehr kann eine Vielzahl von Problemen auftreten, deren Bewältigung im Kostenfestsetzungsverfahren mehr Arbeitsaufwand erfordern kann als die Hauptsacheentscheidungen selbst.

Die Auffassung des BGH hat zur Folge, dass jeder Rechtspfleger in jedem der getrennten Verfahren zunächst diejenigen fiktiven Kosten ermitteln müsste, die bei gemeinsamer Rechtsverfolgung in einem einzigen Verfahren angefallen wären. Dies betrifft nicht nur die außergerichtlichen Kosten der erstattungsberechtigten Partei(-en), sondern auch die Gerichtskosten. Sodann müsste jeder Rechtspfleger fiktiv die Kostenentscheidung treffen, die das Prozessgericht oder die Prozessgerichte bei einer gemeinsamen Rechtsverfolgung hätte(n) treffen müssen. Dies würde in vielen Fällen zu einer Vielzahl von Schwierigkeiten führen, die in dem vereinfachten Verfahren der Kostenfestsetzung vom Rechtspfleger nicht zu bewältigen wären.

Zunächst müsste abgewartet werden, bis auch der letzte Rechtsstreit rechtskräftig entschieden wäre. Hier ergeben sich neben zeitlichen Problemen, die aus der unterschiedlichen Verfahrensdauer der getrennt geführten Prozesse herrühren, auch praktische Probleme. So kann es sein, dass ein Rechtsstreit wegen Insolvenz des Beklagten gem. § 246 ZPO unterbrochen ist, ein weiterer infolge des Todes eines anderen Bekl.

Der Rechtspfleger müsste sämtliche Akten der getrennt geführten Prozesse beiziehen.

Nach Rechtskraft aller getrennt geführten Prozesse müsste der Rechtspfleger dann die Kosten der jeweiligen Parteien zunächst einmal ermitteln und dann deren Notwendigkeit prüfen. So hat er beispielsweise zu prüfen, ob für den Bekl. in einem Verfahren die Hinzuziehung eines auswärtigen Prozessbevollmächtigten notwendig war, für einen weiteren Bekl. die eigene Terminsreise und ggf. für einen dritten Bekl. die Einholung eines Privatgutachtens. Dies muss der Rechtspfleger in Verfahren prüfen, für die er an sich selbst nicht zuständig wäre.

Sodann müsste der Rechtspfleger unter Berücksichtigung des Obsiegens und Unterliegens jeder Partei in den getrennten Verfahren – meist nach der sog. Baumbach'schen Formel – eine fiktive Kostenentscheidung treffen. Auch hier hat er die verschiedenen Verfahrenssituationen der jeweiligen Einzelprozesse mit zu berücksichtigen. So kann beispielsweise in einem der getrennt geführten Rechtsstreite der Bekl. säumig gewesen sein, sodass die Kosten seiner Säumnis zu berücksichtigen sind. In einem weiteren Rechtsstreit können sich die Parteien ohne Kostenregelung verglichen haben. In einem dritten Rechtsstreit können einem nicht erschienenen Zeugen die Kosten seiner Säumnis auferlegt worden seien. Bei komplizierten Verfahrensgestaltungen wäre somit vom Rechtspfleger eine gemeinsame fiktive Kostenentscheidung zu treffen, die kaum ein Richter richtig zustande brächte.

Schließlich ist bisher auch noch nicht erörtert worden, wie mit den Gerichtskosten zu verfahren ist. Hat beispielsweise derselbe Kl. fünf Einzelprozesse gegen verschiedene Bekl. geführt, so hat er in jedem der Verfahren die gerichtliche Verfahrensgebühr nach dem jeweiligen Einzelstreitwert gezahlt, die er im Obsiegensfall vom jeweiligen Bekl. erstattet verlangen kann. Bei der fiktiven Berechnung würde jedoch nur eine gerichtliche Verfahrensgebühr nach der Summe der Einzelstreitwerte entstehen. Problematisch ist der Fall, dass sich in einem oder in mehreren der getrennt geführten Prozesse die gerichtliche Verfahrensgebühr wegen Vorliegens eines Ermäßigungstatbestandes, etwa bei Vergleich oder Klagerücknahme, ermäßigt hat. Bei gemeinsamer Prozessführung wäre dies eine Teilerledigung des Rechtsstreits, die für die fiktiv zu berechnende einheitliche Verfahrensgebühr nicht zur Ermäßigung führen würde.

Die Berechnungen müsste jeder Rechtspfleger in jedem der getrennt geführten Rechtsstreite vornehmen. Dabei ist keineswegs garantiert, dass jeder Rechtspfleger in eigener Verantwortung zu demselben Ergebnis kommt. Folglich kann sich dann in der Gesamtschau bei der Berechnung der erstattungsfähigen Kosten ein falsches Bild ergeben. Auch Beschwerdeverfahren führen nicht notwendig zu einer Vereinheitlichung, da hierfür verschiedene Beschwerdegerichte zuständig sein können.

Nicht zu bewältigende Schwierigkeiten treten dann auf, wenn die Prozessgerichte dem bedürftigen Kl. für jeden Rechtsstreit Prozesskostenhilfe bewilligt haben. Die Aufspaltung in mehrere Rechtsstreitigkeiten ist dann für die Landeskasse bindend, so Hess. LAG, RVGreport 2012, 100 (Hansens), die somit dem PKH-Anwalt die in den getrennten Verfahren nach dem jeweiligen Einzelgegenstandswert zu zahlenden Gebühren und Auslagen zu zahlen hat. Mit der Zahlung gehen diese Ansprüche dann gem. § 59 RVG auf die (jeweilige) Landeskasse über, die...

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