BGB § 242
Leitsatz
Hat sich der mit einem Kaskoschaden befasste VR gegenüber seinem VN einen Informationsvorsprung verschafft, indem er von einem anderen VR ein Schadengutachten über einen dem VN unbekannten Vorschaden erlangt hat, so hat er seinem VN auch in dieses Schadengutachten gem. § 242 BGB Einsicht zu gewähren.
(Leitsatz des Einsenders)
AG Gütersloh, Urt. v. 7.7.2014 – 10 C 6/14
Sachverhalt
Die Parteien streiten um Einsichtnahme in ein Schadensgutachten. Der Kl. unterhält bei dem Bekl. eine Kfz-Versicherung für einen Wohnwagen. Im Jahr 2010 erlitt der Wohnwagen – damals im Eigentum eines Dritten stehend – einen Hagelschaden. Die DEVK holte als Versicherung des damaligen Eigentümers ein Schadensgutachten ein. Der Kl. erwarb den Wohnwagen am 24.1.2011. Zu diesem Zeitpunkt war dem Kl. lediglich eine Delle im Außenblech neben dem Toilettenfenster bekannt.
Der Wohnwagen des Kl. wurde am 27.7.2013 durch Hagelschlag beschädigt. Der Kl. meldete den Schaden beim Bekl. In der Folgezeit begutachtete ein Mitarbeiter des Ingenieurbüros L den Wohnwagen. Die DEVK stellte dem Bekl. das Gutachten aus dem Jahr 2010 zur Verfügung.
Mit Schreiben vom 25.10.2013 teilte der Bekl. mit, seine Ermittlungen hätten ergeben, dass der Wohnwagen bereits im Jahr 2010 einen Hagelschaden erlitten habe und verlangte vom Kl. den Nachweis der Instandsetzung des Vorschadens anhand von Rechnungsbelegen. Der Kl. behauptet, das Gutachten sei dem Bekl. von der DEVK "zum Zwecke der Regulierung eines Versicherungsfalls" überlassen worden. Bei seiner Begutachtung des Wohnwagens habe L auch den Inhalt des Gutachtens der DEVK berücksichtigt. Er begehrt Einsicht in das Gutachten der DEVK.
2 Aus den Gründen:
" … II. Dem Kl. steht gegen den Bekl. ein Anspruch auf Gewährung von Einsicht in das Gutachten der DEVK zu."
Ein solcher Anspruch ergibt sich vorliegend zumindest nach Treu und Glauben aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag. Das Versicherungsverhältnis ist in besonderer Weise von Treu und Glauben geprägt (BGHZ 40, 387 … ). Hierdurch entstehen ergänzende Leistungs- und Verhaltenspflichten für beide Parteien des Versicherungsverhältnisses. Zum Kreis der ergänzenden Pflichten des VR gehören auch Informationspflichten. Die, soweit sie keine gesetzliche Ausformung gefunden habe, ihre Grundlage in § 242 BGB haben können.
Indem der Bekl. vorliegend seine überlegene Sachkunde genutzt hat, um das Gutachten der DEVK anzufordern hat er sich gegenüber dem Kl. einen Informationsvorsprung verschafft. Dieses Verhalten ist für sich betrachtet nicht zu beanstanden. Hält der Bekl. jedoch dem Kl. dann das Ergebnis dieses Gutachtens entgegen, um diesen aufzufordern, Reparaturnachweise eines ihm bis dahin unbekannten Vorschadens beizubringen und sich so einer Regulierung zu entziehen, verstößt der Bekl. gegen die ihm aus Treu und Glauben erwachsenen Informationspflichten gegenüber seinem Versicherten. Denn er setzt seine überlegene Finanzkraft und Sachkunde zum Nachteil seines Vertragspartners ein. Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob dem Bekl. das Gutachten der DEVK mit der Maßgabe überlassen wurde, dieses vertraulich bei den Unterlagen zu belassen. Denn im Rahmen der insoweit vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen ist dem Informationsinteresse des VN zumindest der Vorzug einzuräumen. Überdies hat der Bekl. das Gutachten selbst zum Gegenstand des hier in Mitten stehenden Schadensfalls gemacht, indem er sich gegenüber dem Kl. auf das Ergebnis des Gutachtens berufen hat. Entgegen der Auffassung des Bekl. ist es dem Kl. vorliegend auch nicht zuzumuten, sich zunächst an den Verkäufer des Wohnwagens zu wenden und von diesem die erforderlichen Unterlagen zu Umfang und Beseitigung des Vorschadens zu beschaffen. Denn einerseits weiß der Kl. zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht, ob der Verkäufer des Wohnwagens noch über entsprechende Unterlagen verfügt. Andererseits ist es vollkommen unklar, ob dieser etwaig noch vorhandene Unterlagen freiwillig an den Kl. herausgeben wird oder ob der Kl. einen solchen Anspruch nicht erst im Klagewege geltend machen müsste. Auf diese Unsicherheiten braucht sich der Kl. nicht einzulassen, wenn sein VR im Besitz der erforderlichen Unterlagen ist. … “
Mitgeteilt von RA Stefan Knöllner, FA für Versicherungsrecht, Gütersloh
zfs 1/2015, S. 40 - 41