[45] "… 1. Die volle Haftung der Bekl. dem Grunde nach für die dem Kl. aus dem Unfallereignis entstandenen Schäden nach § 7 Abs. 1 StVG, § 3 Nr. 1 und 2 PflVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung, hinsichtlich des Bekl. zu 3) aus § 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB steht zwischen den Parteien außer Streit."

[46] 2. Umstritten ist jedoch, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Kl. infolge des Unfallereignisses erlitt und wie lange er in seinem körperlichen Wohlbefinden unfallursächlich beeinträchtigt war.

[47] a) Nach dem Sachvortrag der Berufung hat der Kl. diesen Zeitraum vom Unfalltag bis zum Frühjahr 2006 begrenzt. Obwohl sich sowohl der Berufungsvortrag als auch der in der Berufungsbegründung in Bezug genommene erstinstanzliche Vortrag (GA II Bl. 305 f.; GA III 351, 456) explizit nur auf die volle Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit beziehen, ist der Sachvortrag nicht dahingehend zu verstehen, dass der Kl. über den genannten Zeitraum hinaus an fortdauernder Wetterfühligkeit und Beschwerden im Kopf- und Nackenbereich leidet.

[48] b) Das LG hat es als unstreitig angesehen, dass der Kl. durch den Aufprall ein HWS-Schleudertrauma erlitt. Es ist sodann nach Durchführung der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kl. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für einen Zeitraum von etwa sieben Wochen an leichten bis mittelgradigen HWS-Beschwerden gelitten habe. Diese Gesundheitsbeeinträchtigung habe bis zum 24.3.2005 die volle Arbeitsunfähigkeit des Kl. herbeigeführt. Demgegenüber sei der Beweis dafür, dass der Kl. über diesen Zeitraum hinaus unfallbedingt arbeitsunfähig gewesen sei, nicht mit der erforderlichen Sicherheit geführt.

[49] Dagegen bestehen durchgreifende Bedenken: Nach dem Ergebnis der im Berufungsrechtszug ergänzten Beweisaufnahme ist der Senat vielmehr davon überzeugt, dass der Kl. mit abnehmender Intensität noch bis zum Jahresende 2005 unter den Folgen der HWS-Distorsion litt und seine Arbeitsfähigkeit nach Maßgabe der vom Sachverständigen Prof. Dr. R für den Fall einer HWS-Distorsion des Grades II als Grenze des Ermessensspielraums ermittelten Werte (bis zum 16.6.2005 um 60 %, bis zum 28.7.2005 um 40 %, bis zum 28.10.2005 um 20 % und bis zum Jahresende 2005 um 10 %) gemindert war.

[50] aa) Das LG ist von zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen: Der Kl. trägt die Beweislast dafür, dass auch fortbestehende (unstreitige oder bewiesene) Beschwerden adäquate Folgen des Unfallereignisses sind. Zwar hat die Rspr. zugunsten des Geschädigten Beweiserleichterungen anerkannt: Steht nämlich fest, dass der Geschädigte eine Primärverletzung erlitten hat, so ist die Frage, ob der Unfall über diese Primärverletzung hinaus auch für die weiteren Beschwerden des Kl. ursächlich ist, eine Frage der am Maßstab des § 287 ZPO zu prüfenden haftungsausfüllenden Kausalität (st. Rspr. seit BGHZ 4, 192, 196, aus der neueren Rspr. vgl. nur BGH, Urt. v. 16.4.2004 – VI ZR 138/03, NJW 2004, 1945; Urt. v. 4.11.2003 – VI ZR 28/03, VersR 2004, 118; Urt. v. 28.1.2003 – VI ZR 139/02, VersR 2003, 474, 476; vgl. auch Zöller/Greger, 29. Aufl., § 287 Rn 3; MüKo-ZPO/Prütting, 4. Aufl., § 287 Rn 13; Musielak/Foerste, ZPO, 9. Aufl., § 287 Rn 3 ff.; P/G/Laumen, ZPO, 4. Aufl.; § 287 Rn 9).

[51] Bei der Beweiswürdigung nach § 287 ZPO werden geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung des Gerichtes gestellt. Im Gegensatz zum Vollbeweis des § 286 ZPO kann der Beweis nach § 287 ZPO je nach Lage des Einzelfalles bereits dann erbracht sein, wenn eine höhere oder deutlich höhere i.S.e. zumindest überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der zu beweisenden Tatsache spricht (BGH, Urt. v. 7.6.2006 – XII ZR 47/04, NJW-RR 2006, 1238; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 287 Rn 43). Hierbei begegnet es keinen Bedenken, den Beweis am Maßstab des § 287 ZPO als geführt anzusehen, wenn das Gericht im Wege des Ausschlusses anderer Ursachen zu der Überzeugung gelangt, dass der Unfall als einzige realistische Ursache für die Beschwerden in Betracht kommt (BGH, VersR 2003, 476). Ein solcher Rückschluss verbietet sich hingegen, wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass sich die Krankheit schicksalhaft entwickelt hat. Dann reichen allein die zeitliche Nähe zwischen dem Unfallereignis und der Entstehung der Beschwerden und die daran anknüpfende “gefühlsmäßige’ Wertung, dass beide Ereignisse irgendwie miteinander in Zusammenhang stehen, nicht aus (Senat, OLGR 2009, 897; 126; 2006, 186; 2005, 740; 489, 490 f.; Urt. v. 11.10.2005 – 4 U 566/04 – 51/05; BGH VersR 2004, 119; zu den Beweisanforderungen im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO vgl. auch Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 33. Aufl., § 287 Rn 9 ff., P/G/Laumen, a.a.O., § 287 Rn 17; Musielak/Foerste, a.a.O., § 287 Rn 7).

[52] bb) Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist es zunächst von Relevanz, dass der Kl. unstreitig in Gestalt der HWS-Schleuderverletzung eine die Bagatellgrenze übersteigende Primärverletzung erlitt. Folglich ist die Beweisfrage, welche Weiterungen aus...

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