[41] II. Die zulässige Berufung der Klägerin ist vollumfänglich begründet; die zulässige Anschlussberufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

[42] Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 5.106,78 EUR, d.h. Zahlung von weiteren 3.150,74 EUR, aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 630a BGB.

[43] 1. Die Beklagte hat durch ihre ihr nach § 31 BGB bzw. § 278 BGB zuzurechnenden Beschäftigten der Klägerin gegenüber eine Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) aus dem zwischen ihr und der Klägerin mit Einlieferung in die Notaufnahme bzw. Behandlungsbeginn konkludent geschlossenen Behandlungsvertrag verletzt.

[44] a) Nach § 241 Abs. 2 BGB hat sich jeder Teil bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass Person, Eigentum und sonstige Rechtsgüter des anderen Teils nicht verletzt werden. Der Inhalt dieser Schutzpflichten bestimmt sich dabei aus dem Zweck des Schuldverhältnisses, der Verkehrssitte und den Anforderungen des redlichen Geschäftsverkehrs (vgl. nur BGH NJW 2021, 1818 Rn 24, beck-online).

[45] Nach diesen Maßstäben ergibt sich hier eine Obhutspflicht der Beklagten sowie deren Pflicht, für den ordnungsgemäßen Transport der persönlichen Habe der Klägerin auf die Station zu sorgen, aus folgenden Umständen: Die immerhin bereits 95-jährige Klägerin war ohne Begleitung mittels Rettungswagens in einer Notsituation – also unabhängig davon, wie selbstständig sie in alltäglichen Situationen gewesen ist, erkennbar hilfsbedürftig – eingeliefert worden. Sie hatte keine Möglichkeit, sich durch Anpassung der Kleidung oder in sonstiger Weise auf den Aufenthalt vorzubereiten. Nach dem Ergebnis der – insoweit nicht zu beanstandenden und auch von keiner der Parteien angegriffenen – erstinstanzlichen Beweisaufnahme hat sie Teile ihrer Kleidung in der Notaufnahme abgelegt und sich im weiteren Verlauf bis auf ihre Leibwäsche entkleidet und ein Krankenhausnachthemd angelegt. Auch wenn die Gründe hierfür nicht im Einzelnen bekannt sind, ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme mit dem Landgericht davon auszugehen, dass dies auf Veranlassung der Beklagten und damit aus nachvollziehbaren Gründen geschehen ist. Die Sachen befanden sich nicht in der Obhut der Klägerin, da diese keine Möglichkeit hatte, die Sachen überhaupt kontrolliert bei sich zu behalten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin sowohl zum Röntgen als auch später innerhalb der Klinik zu ihrem Zimmer ausschließlich liegend von der Beklagten bzw. einer von dieser eingeschalteten Subunternehmerin auf einer Trage transportiert wurde.

[46] Die Sachen hätten sich selbst dann nicht in der Obhut der Klägerin befunden, wenn die Patiententüte(n) entsprechend dem beklagtenseitigen Vortrag zur üblichen Vorgehensweise unten auf der Liege deponiert worden wären, denn die Tüten oder ihre Handtasche – einschließlich der enthaltenen Wertgegenstände – hätten sich auch dann nicht einmal im Sichtfeld der Klägerin befunden; ebenso wenig hätte die Klägerin aus ihrer liegenden Position und in ihrem Zustand auf einen möglichen Diebstahl oder sonstigen Verlust etwa durch Herabfallen in irgendeiner Weise in tatsächlicher Hinsicht reagieren können.

[47] Abgesehen davon hat die Beklagte die Obhut über die Sachen der Klägerin auch durch ihr eigenes Handeln übernommen, indem sie diese bzw. jedenfalls Teile davon in der Notaufnahme in sog. Patiententaschen – auch wenn deren Inhalt im Einzelnen streitig ist – verpackt und mit entsprechenden Aufklebern zum Transport vorbereitet hat. Sie ist also selbst davon ausgegangen, dass der Transport von Kleidung und persönlichen Gegenständen der Klägerin als Patientin von der Notaufnahme auf die Station nicht in die Verantwortung der – notfallmäßig behandlungsbedürftigen – Patientin, sondern in ihre Verantwortung als Klinikträgerin fällt.

[48] Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass der Beklagten eine Pflicht oblegen hat, dafür zu sorgen bzw. jedenfalls die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, dass die (teilweise) von ihr verpackten Gegenstände auch auf der Station im späteren Zimmer der Klägerin ankommen (vgl. für eine allgemeine Obhutspflicht des Krankenhausträgers hinsichtlich der mitgebrachten Sachen, die sich in Bezug auf einen Privatpatienten als nebenvertragliche Verwahrungspflicht aus dem Dienstvertrag dem Krankenhausträger darstellt, Staudinger/Bieder (2020) Vorbemerkung zu §§ 688 Rn 61; grundsätzlich auch LG Hannover, Urt. v. 15.2.1999 – 20 O 2/98, juris; für Obhutspflicht jedenfalls bei Einlieferung eines bewusstlosen Patienten LG Hannover, Urt. v. 15.2.1999 – 20 O 2/98, juris; auf die Umstände des einzelnen Falles abstellend OLG Hamburg Urt. v. 29.9.1989 – 1 U 29/89, BeckRS 1989, 31167995, beck-online; für Verwahrpflicht für Sachen, die Patienten während der Behandlung abgelegt haben: LG Bonn, Urt. v. 11.1.2013 – 10 O 90/12, Rn 16, juris; LG Hannover, Urt. v. 24.11.1982 – 11 S 308/82, NJW 1983, 1381, beck-online).

[49] Es ist auch nicht ersichtlich, dass es unzumutbar wäre, inso...

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