In Kostenfragen sind Entscheidungen des Großen Senats für Zivilsachen des BGH äußerst selten. Auch wenn die Zivilsenate des BGH in Kostenfragen untereinander abweichende Auffassungen vertreten, so scheuen sie meist die Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen des BGH. Da wird häufig mit langen, blumigen Ausführungen begründet, warum keine Abweichung von der Auffassung des anderen Senats vorliegt. So sei an die unterschiedlichen Entscheidungen verschiedener Zivilsenate des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr erinnert. Kein einziger Senat des BGH hat zu dieser innerhalb des BGH umstrittenen Rechtsfrage den Großen Senat für Zivilsachen angerufen. Hier musste erst der Gesetzgeber durch Einführung des § 15a RVG dafür sorgen, dass sämtliche Zivilsenate des BGH die Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr richtig beurteilen.

Und nun hat der XI. ZS des BGH den Großen Senat für Zivilsachen in einer relativ unspektakulären Frage angerufen. Befasst man sich nur mit der vom Großen Senats entschiedenen Zuständigkeitsfrage, wird der Praktiker bei seiner ersten Beurteilung der Entscheidung vielleicht zu dem Ergebnis kommen, es sei ihm letztlich egal, ob über einen Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes der Einzelrichter des BGH oder der Senat in voller Besetzung entscheidet. In der Tat betrifft diese Streitfrage nur ganz wenige Verfahren im Jahr.

Auf den zweiten Blick wird die über die Zuständigkeit für den Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes weit hinausgehende Bedeutung der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des BGH erkennbar. Der Große Senat für Zivilsachen hat aus der Regelung in § 1 Abs. 3 RVG den eindeutig auch vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Vorschrift hervorgehoben, dass sämtliche Verfahrensvorschriften des RVG denjenigen Verfahrensvorschriften des zugrunde liegenden Verfahrens, etwa der ZPO, des FamFG oder des GVG, vorgehen. Über den Wortlaut des § 1 Abs. 3 RVG hinaus gilt dies nicht nur für die dort ausdrücklich erwähnte Erinnerung und Beschwerde, sondern auch für Anträge.

Die Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des BGH sollte auch den Gerichten anderer Gerichtsbarkeiten zu denken geben, die den Vorrang des § 1 Abs. 3 RVG negieren. Dies betrifft insbesondere das Verhältnis zu § 80 AsylG, wonach Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Unter Hinweis auf diese Vorschrift sehen viele Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit die nach dem RVG grundsätzlich gegebene Beschwerde als unzulässig an (so etwa Saarländisches OVG RVGreport 2020, 359 [Hansens]; VGH Baden-Württemberg AGS 2017, 346 = RVGreport 2017, 192 [Hansens] für die Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes). Demgegenüber vertritt das OVG Berlin-Brandenburg (RVGreport 2020, 31 [Hansens] = AGS 2019, 525) zutreffend die Auffassung, dass der Beschwerdeausschluss in § 80 AsylG in Verfahren auf Festsetzung des Gegenstandswertes durch die Regelung in § 1 Abs. 3 RVG verdrängt wird. Ebenso zutreffend ist die Auffassung des Hess. VGH (AGS 2019, 530) und des OVG Berlin-Brandenburg (RVGreport 2016, 378 [Hansens] = AGS 2016, 534), wonach wegen des Vorrangs in § 1 Abs. 3 RVG die Beschwerde in Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung nach § 56 Abs. 2 und 3 RVG ungeachtet des Beschwerdeausschlusses in § 80 AsylG zulässig ist. Ebenfalls richtig hat das OVG NRW (RVGreport 2015, 270 [Hansens] = AGS 2015, 251) entschieden, dass sich der Beschwerdeausschluss in § 80 AsylG nicht auf die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bezieht.

Demgegenüber verritt das OVG NRW (RVGreport 2016, 295 [Hansens] = AGS 2016, 443) die Auffassung, dass die Beschwerde im Verfahren auf Vergütungsfestsetzung nach § 11 RVG durch § 80 AsylG ausgeschlossen sei. Diese Auffassung ist schon eher haltbar, da § 11 RVG hinsichtlich der Rechtsbehelfe keine eigene Regelung im Vergütungsfestsetzungsverfahren trifft, sondern in § 11 Abs. 2 Satz 3 RVG auf die Vorschriften der jeweiligen Verfahrensordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren verweist. Diese Verfahrensvorschriften sind dann ungeachtet der Regelung in § 1 Abs. 3 RVG vorrangig. Allerdings kann man darüber streiten, ob § 80 AsylG überhaupt im Vergütungsfestsetzungsverfahren anwendbar ist, weil dort von dem Beschwerdeausschluss nur "Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten in diesem Gesetz", also dem AsylG, ausgeschlossen sind, während es im Vergütungsfestsetzungsverfahren um die Vergütung des Rechtsanwalts gegen seinen Auftraggeber geht.

Aus § 1 Abs. 3 RVG folgt ebenso, dass die nach Maßgabe des § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3-8 RVG zulässige Beschwerde betreffend die Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung eben nicht durch §§ 172 ff. SGG ausgeschlossen ist (so SchlH. LSG RVGreport 2014, 425 (Hansens) = AGS 2014, 462; Sächs. LSG RVGreport 2014, 468 (Ders.), was so manches LSG (etwa das LSG Niedersachsen-Bremen RVGreport 2007, 348 (Ders.) o...

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