StVO § 3

Leitsatz

Bei sämtlichen Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät Leivtec XV3 liegt derzeit kein vereinheitlichtes (technisches) Verfahren mehr vor, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.

OLG Celle, Beschl. v. 5.7.2021 – 2 Ss (Owi) 153/21

Sachverhalt

Durch das mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde angefochtene Urteil des Amtsgerichts vom 11.3.2021 wurde gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h eine Geldbuße von 70 EUR verhängt. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils wurde die überhöhte Geschwindigkeit des von dem Betroffenen geführten Fahrzeugs mit dem Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV3 gemessen. Das OLG Celle hat das Bußgeldverfahren mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, jedoch davon abgesehen, die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen der Landeskasse aufzuerlegen.

2 Aus den Gründen:

[…] II. Der Senat stellt das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG ein.

Die in jeder Lage des Verfahrens und damit auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz mögliche Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG setzt nicht voraus, dass die Rechtsbeschwerde zuvor zugelassen worden ist oder überhaupt ein Zulassungsgrund vorliegt. Vielmehr ist es ausreichend, wenn das Rechtsbeschwerdegericht auf einen in zulässiger Weise gestellten und begründeten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit dieser Sache befasst ist (vgl. Göhler-Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl., § 47 Rn 41 m.w.N.; OLG Jena DAR 2015, 215). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, da der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde form- und fristgerecht angebracht und begründet worden ist.

Der Senat hält eine Ahndung der dem Betroffenen zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit mit Blick auf deren geringfügige Bedeutung sowie den Umstand, dass die Messung vorliegend mit dem Messgerät Leivtec XV3 erfolgte, nicht mehr für geboten. Denn die Richtigkeit des ermittelten Geschwindigkeitswertes ist bei Messungen mit dem Messgerät Leivtec XV3 derzeit unabhängig davon, ob das sog. Messung-Start-Foto die in der am 14.12.2020 geänderten Gebrauchsanweisung genannten Anforderungen erfüllt und ob es sich um eine Rechts-, Links- oder Geradeausmessung handelt, nicht mehr garantiert (vgl. hierzu: OLG Celle, Beschl. v. 18.6.2021 – 2 Ss (Owi) 69/21). Bei sämtlichen Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät Leivtec XV3 liegt derzeit kein vereinheitlichtes (technisches) Verfahren mehr vor, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. Senat a.a.O.).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 und Abs. 4 StPO. Mit Blick auf die Stärke des Tatverdachts erschien es geboten, die notwendigen Auslagen des Betroffenen nicht der Landeskasse aufzuerlegen.

Mitgeteilt von RA Christian Janeczek, Dresden

3 Anmerkung:

Viele Oberlandesgerichte sind sich derzeit einig, dass nach den Veröffentlichungen um Unregelmäßigkeiten des Messgeräts (vgl. Simon NZV 2021, 385) die Erleichterungen des standardisierten Messverfahrens nicht mehr für das System Leivtec XV3 greifen, sondern das Gericht den Vorwurf sachverständig überprüfen lassen muss. Bewegt sich die Rechtsfolge unterhalb der Fahrverbotsschwelle, liegt auch eine Einstellung nahe, da die entstehenden Gutachtenskosten in keinem Verhältnis zur Geldbuße stünden. Für die dann zu treffende Auslagenentscheidung gibt es grob gesagt zwei Ansichten: Eine Ansicht, wie hier das OLG Celle, stellt nach wie vor auf den Tatverdacht ab. Eine andere Ansicht setzt vorher an und sieht keine Veranlassung, die notwendigen Auslagen dem Betroffenen aufzuerlegen, wenn ihn der Staat mit einem unzuverlässigen Messsystem in ein Bußgeldverfahren hineinzwingt. Dies ist vergleichbar mit einer Messstelle, die nur aus fiskalischen Gründen ausgewählt wird und nicht unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit. Auch in diesem Fall hat das eingeleitete Verfahren keine Legitimation, sodass es vertretbar ist, die Auslagen ebenfalls der Staatskasse aufzuerlegen.

Man mag hierüber dogmatisch trefflich streiten, aber bei den Leivtec-Messgeräten ist es immerhin möglich, einen näherungsweisen Geschwindigkeitswert durch eine Weg-Zeit-Messung nachzuvollziehen, womit im Gegensatz zu rein computergenerierten Messwerten eine sachverständige Prüfung und damit eine Verurteilung überhaupt noch möglich sind, sodass der Tatverdacht als Argument für die Auslagenentscheidung jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. In der Praxis geht es den (in der Regel rechtsschutzversicherten) Betroffenen jedoch eher um die Punkte, sodass die Einstellung gerne mitgenommen werden wird.

RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl

zfs 11/2021, S. 649 - 650

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