OWiG § 74; StPO § 346

Leitsatz

1. Verwirft das Tatgericht eine Rechtsbeschwerde vor Ablauf der Begründungsfrist gem. § 346 Abs. 1 StPO und geht noch innerhalb der Begründungsfrist die Begründung samt Antrag ein, bedarf es einer Wiedereinsetzung – mangels Fristversäumnis – nicht und der Verwerfungsbeschluss ist aufzuheben.

2. Ergibt sich ein möglicher Entschuldigungsgrund für das Ausbleiben des Betr. im Hauptverhandlungstermin aus dem Urteil, muss sich das AG im Urteil auch mit dem Grund des Ausbleibens auseinandersetzen.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.1.2018 – 4 Rb 23 Ss 1097/17

Sachverhalt

Das AG verwarf den Einspruch, da im Termin weder die Betr. noch deren Verteidiger anwesend waren. Zuvor hatte der Verteidiger einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt, da die Betr. ihre Famulatur, die sie auf Sylt absolvierte, nicht habe unterbrechen können und keinen Urlaub nehmen dürfe. Das Gericht hatte der Betr. mitgeteilt, dass eine Verlegung nicht in Betracht komme, da die Begründung nicht ausreichend sei. Sodann reichte die Betr. eine weitere Bestätigung des Ausbilders ein, die das Gericht aber ebenfalls für nicht genügend ansah, was der Betr. mitgeteilt wurde. Sodann legte die Betr. gegen die Nichtverlegung des Termins "Rechtsmittel" ein und beantragte nochmals, den Termin zu verlegen; dieses "Rechtsmittel" und der erneute Verlegungsantrag wurden durch Beschluss des AG abgelehnt. Ein Schriftsatz des Verteidigers, der die "Famulaturrichtlinien" beinhaltete und in dem erneut um Verlegung des Termins gebeten wurde, wurde dem Richter erst nach dem Hauptverhandlungstermin vorgelegt.

Das Urteil wurde am 15.9.2017 zugestellt. Die Betr. legte am 21.9.2017 Rechtsbeschwerde gegen das Urteil ein. Diese Rechtsbeschwerde verwarf das AG am 18.10.2017 als unzulässig, da es eine frist- und formgerechte Begründung vermisste. Am 20.10.2017 gingen Antrag und Begründung des Rechtsmittels mittels Verteidigerschriftsatzes ein. Die Betr. stellt den Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO und begehrt Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist. Das OLG Stuttgart hat den Beschluss des AG nach § 346 Abs. 1 StPO aufgehoben und auf die Rechtsbeschwerde hin das Urteil des AG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

2 Aus den Gründen:

"… II. Der fristgerecht gestellte Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO hat Erfolg, der Beschl. des AG v. 18.10.2017 ist aufzuheben. Das Gericht hat den Beschl. v. 18.10.2017 vor der Zeit, nämlich vor Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist, erlassen."

Die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist lief, nachdem weder die Betr. noch ihr Verteidiger in der Sitzung vom 8.9.2017 anwesend waren, nach § 341 Abs. 2 StPO i.V.m. § 345 Abs. 1 StPO bis 23.10.2017. Nach der Zustellung vom 15.9.2017 lief zunächst die Einlegungsfrist bis 22.9.2017, daran schloss sich die Begründungsfrist von einem Monat ab 23.9.2017, also bis 23.10.2017 an. Die Begründung der Betr. war jedoch bereits am 20.10.2017 bei Gericht eingegangen und damit rechtzeitig. Daher hat die Betr. keine Frist versäumt – einer Wiedereinsetzung bedarf es nicht – und der Verwerfungsbeschluss ist aufzuheben.

III. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat hierzu in ihrer Zuschrift vom 13.12.2017 wie folgt ausgeführt:

Zitat

“Das AG Stuttgart hat den Einspruch der Betr. gegen den Bußgeldbescheid gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Die Betr. kann hier grds. im Wege der Verfahrensrüge gegen die Verurteilung vorgehen. Mit der Verfahrensrüge kann insb. geltend gemacht werden, das Gericht habe aufgrund bestimmter Tatsachen einen gegebenen Entschuldigungsgrund erkennen und als solchen in die Prüfung mit einbeziehen müssen; hier in diesem Fall die Dauer und die Unterbrechungsvoraussetzungen der Famulatur. Dabei muss bei der Verfahrensrüge unter Darlegung bestimmter Tatsachen näher angeführt werden, warum das AG das Ausbleiben nicht als unentschuldigt habe ansehen dürfen (Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl., § 74, Rn 48b). Die Rechtsbeschwerde ist nämlich nur dann erfolgreich, wenn in ihr eine vollständige und genaue Darlegung enthalten ist, welche Entschuldigungsgründe für das Fernbleiben von der Hauptverhandlung im Ergebnis vorgebracht und wie diese von Gericht beschieden worden sind. Bezugnahmen auf das Protokoll oder Schriftsätze oder Ähnliches sind unzulässig. Der Verteidiger des Betr. hat hier das Ausbleiben im Termin damit entschuldigt, dass seine Mandantin die Famulatur nicht unterbrechen dürfe. Der Verfahrensgang mit den entsprechenden Daten wurde durch die Betr. in der Rechtsbeschwerdebegründung aufgeführt. Demnach hat der Verteidiger rechtzeitig einen Verlegungsantrag gestellt und diesen auch begründet sowie eine Kurzbescheinigung des Ausbilders der Betr. vorgelegt. Nachdem das Gericht moniert hatte, dass dies nicht ausreichend sei, legte der Verteidiger der Betr. erneut eine weitere Bescheinigung vor, die wiederum als nicht genügend angesehen wurde. Nachdem dies der Betr. am 5.9.2017 mitgeteilt worden war, legte der Verteidiger dem Gericht mit Fax vom 6.9.2017 die...

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