[1] "Die Kl. macht Schadensersatzansprüche nach einer im Haus der Bekl. zu 1) vom Bekl. zu 2) durchgeführten Schilddrüsenresektion geltend."

[2] Bei der 1966 geborenen Kl. war im Jahr 1985 aufgrund eines papillären Schilddrüsenkarzinoms eine subtotale Schilddrüsenresektion durchgeführt worden. Im Februar 2011 wurden im Rahmen einer in der Klinik für Nuklearmedizin der Bekl. zu 1) durchgeführten Kontrolluntersuchung (Sonographie) in der Restschilddrüse drei auffällige Herdbefunde festgestellt. Zur Überprüfung einer möglichen Zellveränderung wurde eine Feinnadelpunktion vorgenommen. Die pathologische Untersuchung des entnommenen Gewebes ergab den Nachweis atypischer, bösartiger Zellen, wobei das Zellbild als vereinbar mit einem papillären Schilddrüsenkarzinom oder dessen follikulärer Variante beschrieben wurde. Die Kl. stellte sich mit diesem Befund Anfang März 2011 bei dem Bekl. zu 2), Oberarzt in der Klinik für Allgemeine Chirurgie und Thoraxchirurgie der Bekl. zu 1), vor, der ihr zu einer totalen Schilddrüsenentfernung riet und diesen Eingriff dann auch durchführte. Im Rahmen des operationsbegleitenden Neuromonitorings wurde auf der linken Seite des Nervus vagus ein Signalverlust festgestellt; eine Quetschmarke des Recurrensnervs konnte nicht ausgeschlossen werden. Postoperativ zeigten sich eine Stimmbandparese links und eine Minderbeweglichkeit des Stimmbandes rechts. Die pathologische Untersuchung des im Rahmen der Operation entfernten Präparats ergab keinen Nachweis eines Schilddrüsenkarzinoms; es fand sich lediglich ein 1,2 cm messendes mikrofollikuläres Adenom ohne Anhalt auf Malignität. Insb. mit der Behauptung, fehlerhaft behandelt worden zu sein, nimmt die Kl. die Bekl. auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch.

[3] Das LG hat die Klage abgewiesen.

[4] Das OLG hat die dagegen gerichtete Berufung durch einstimmigen Beschl. gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

[5] Die Nichtzulassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg und führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das BG.

[7] 2. Die Kl. rügt zu Recht, das BG habe ihren Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass es ihre Behauptung, die Pathologie der Bekl. zu 1) habe bei der Untersuchung des Feinnadelpunktats Milchglaszellen fehlerhaft mit Krebszellen verwechselt, zurückgewiesen habe.

[8] a) Nach st. höchstrichterlicher und verfassungsgerichtlicher Rspr. liegt ein Gehörsverstoß dann vor, wenn der Tatrichter Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet (vgl. nur Senat v. 31.5.2015 – VI ZR 305/15, NJW 2016, 3785 Rn 11; v. 3.3.2015 – VI ZR 490/13, NJW-RR 2015, 1278 Rn 7; BVerfG v. 26.10.1999 – 2 BvR 1292/96, NJW 2000, 945, 946). Das ist vorliegend der Fall. Die Voraussetzungen für die Zurückweisung des dargestellten Sachvortrags der Kl. nach § 531 Abs. 1 ZPO lagen offenkundig nicht vor.

[9] b) Nach § 531 Abs. 1 ZPO bleiben Angriffsmittel, die im ersten Rechtszug zurückgewiesen worden sind, im zweiten Rechtszug nur dann ausgeschlossen, wenn die Zurückweisung im ersten Rechtszug zu Recht erfolgt ist. Das ist bezüglich der dargestellten Behauptung der Kl. nicht der Fall; sie hätte – wie die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend darlegt – schon im ersten Rechtszug nicht gem. §§ 296 Abs. 1, 411 Abs. 4 S. 2 ZPO zurückgewiesen werden dürfen.

[10] c) Die Zurückweisung eines Angriffs- oder Verteidigungsmittels nach § 296 Abs. 1 ZPO setzt – auch i.V.m. § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO – voraus, dass das betreffende Angriffs- oder Verteidigungsmittel erst nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist vorgebracht wurde. Im Streitfall war für die Zurückweisung der Behauptung, in der Pathologie der Bekl. zu 1) sei es zu einem Fehler gekommen, also Voraussetzung, dass auch sie von der bei Übersendung des Gutachtens vom LG nach § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO gesetzten Frist erfasst wurde. Dies ist bereits nach dem Wortlaut des die Frist setzenden Beschlusses – und damit offenkundig – nicht der Fall.

[11] aa) Das LG hatte zur Frage von Behandlungsfehlern ein schriftliches viszeralchirurgisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige führte im Gutachten unter anderem aus, auf der Grundlage der vorliegenden Befunde – sonografisch echoarmer Knoten, zytologisch atypische (bösartige) Zellen, vereinbar mit einem papillären Schilddrüsenkarzinom – und der Vorgeschichte habe vom Vorliegen eines papillären Schilddrüsenkarzinoms ausgegangen werden müssen, das die vorgenommene Schilddrüsenentfernung indiziert habe. Das Ergebnis der pathologischen Untersuchung des Feinnadelpunktats legte der chirurgische Sachverständige dabei erkennbar als richtig zugrunde; ihre Überprüfung war – dem Grundsatz der fachgleichen Begutachtung entsprechend (vgl. Senat v. 8.11.2016 – VI ZR 512/15, VersR 2017, 316 Rn 12) – nicht Gegenstand des Gutachtens.

[12] bb) Mit der Kl. am 13.8.2014 z...

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