1. Die Bemessung des Schmerzensgeldes bei alsbaldigem unfallbedingten Tod mit dem häufig damit verbundenen Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit des Verletzten wird durch zwei neuere Umstände geprägt. Zum einen ist das Schmerzensgeld nach Aufhebung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. vererblich ausgestaltet worden. Bis zur Aufhebung dieser Bestimmung ging der Schmerzensgeldanspruch auf die Erben des Verletzten nur dann über, wenn er entweder rechtshängig gemacht oder durch Vertrag anerkannt worden war. Da der Verletzte bei schweren Verletzungen oft nicht in der Lage war, die Rechtshängigkeit herbeizuführen oder gar ein vertragliches Anerkenntnis zu erreichen, sind Entscheidungen zu Schmerzensgeldsituationen bei alsbaldigem Tod (Minuten, Stunden, wenige Tage) bis zur Reform des § 847 BGB – die auch den bis dahin unwürdigen Wettlauf mit der Zeit bis zur Herbeiführung der Rechtshängigkeit beendete – kaum aufzufinden. Hinzu kommt, dass die Herbeiführung der Rechtshängigkeit zur Zubilligung der Vererblichkeit dem BGH nicht genügte. Er ging aufgrund der bis dahin durchgehaltenen Einordnung des Schmerzensgeldes von dessen Höchstpersönlichkeit aus und verlangte eine persönliche Erklärung des Verletzten nach dem Schadensereignis zur Bereitschaft der Geltendmachung des Schmerzensgeldes (vgl. BGH VersR 1978, 62). Bei einem schwer Verletzten, der etwa in ein künstliches Koma versetzt worden war, konnte die Erklärung des Verletzten häufig erst nach Bestellung eines Pflegers erreicht werden und wegen inzwischen eingetretenen Todes des Unfallverletzten zu spät kommen. Ein weiterer Umstand für eine befriedigendere und häufigere Befassung der Regulierung von Schmerzensgeldansprüchen bei Verletzungen mit der Folge alsbaldigen Todes ist die Aufgabe der Rspr. des BGH zum sog. symbolischen Schmerzensgeld in Fällen der unfallbedingten Zerstörung der Persönlichkeit des Unfallverletzten durch den Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit (vgl. BGH NJW 1976, 1147). In den Fällen des Verlustes der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit sei der Geschädigte nicht in der Lage, den Zusammenhang der Entschädigungszahlung mit seinem Schaden zu erkennen, so dass sein persönliches Empfinden weder subjektiv noch objektiv gefordert werden könne, so dass weder für eine Ausgleichsfunktion noch für eine Genugtuungsfunktion Raum sei. Gleichwohl sei die Zubilligung einer Geldentschädigung in der Form eines "symbolischen Schmerzensgeldbetrages" aufgrund eines "verfeinerten Sühnegedankens" als wenigstens "zeichenhafte Wiedergutmachung" berechtigt (BGH NJW 1976, 1147, 1148).

Diese Rspr. gab der BGH in einer Entscheidung v. 13.10.1992 auf (vgl. BGH NJW 1993, 731). Die unfallbedingte Einbuße der Persönlichkeit stellt grds. einen entschädigungspflichtigen immateriellen Schaden dar, der unabhängig von der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit des Verletzten zu entschädigen sei. Es liege eine eigenständige Fallgruppe vor, die der zentralen Bedeutung der Einbuße der verletzten Person gerecht werden müsse. Präzisierend hat der BGH zur Bemessung der Geldentschädigung bei alsbaldigem Versterben des Geschädigten ausgeführt, dass eine Gesamtbetrachtung der immateriellen Beeinträchtigungen unter besonderer Berücksichtigung von Art und Schwere der Verletzungen, der hierdurch verursachten Leiden und deren Wahrnehmung durch den Verletzten wie auch des Zeitraums zwischen Verletzung und Eintritt des Todes erforderlich sei (vgl. BGH VersR 1998, 1034). Da der unfallbedingte Tod des Verletzten keine schmerzensgeldauslösende Funktion hat (vgl. BGH a.a.O.; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 6. Aufl., Rn 450 ff.), kann ein Schmerzensgeldanspruch dann zu verneinen sein, wenn die Körperverletzung nach den Umständen gegenüber dem alsbaldigen Tod keine abgrenzbare immaterielle Beeinträchtigung darstellt, die einen Ausgleich in Geld erforderlich macht.

Mit der in dieser Entscheidung angesprochenen Berücksichtigung der Wahrnehmungs- und Empfindungsmöglichkeit setzt sich der BGH in teilweisen Widerspruch zu den Entscheidungen des Jahres 1992, in der gerade die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit des Verletzten als nicht tragend für die Zubilligung angesehen wurde. Im Übrigen wird häufig ein Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit als unmittelbare Folge des Unfallereignisses nicht vorliegen, wenn das Unfallopfer auch zur Vermeidung von Schmerzempfindungen in ein künstliches Koma versetzt worden ist. Fortbestehende Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit wird bei Schmerzzuständen allerdings schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen sein.

2. Da damit die Leidenszeit des Verletzten bis zu seinem Tod zu entschädigen ist und die Tatsache der frühzeitigen Beendigung seines Lebens außer Acht zu bleiben hat (vgl. Jaeger, VersR 1996, 117, 118), sind Fallgruppen – abhängig von den jeweiligen Überlebenszeiträumen – entwickelt worden (vgl. Jaeger/Luckey, a.a.O., Rn 833 ff.). Soweit aufgrund des bisher bekannt gewordenen Rechtsprechungsmaterials anzunehmen ist, dürfte die Zubilligung ein...

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