Durch das gerichtliche selbstständige Beweisverfahren kann eine frühzeitige beweiskräftige Tatsachenfeststellung erfolgen. In seiner forensischen Praxis musste der Verfasser immer wieder feststellen, dass gerichtliche Sachverständige in einem späteren Erkenntnisverfahren viel zu spät Kontakt zur begutachtenden Person erhalten. Dies zu einem Zeitpunkt, zu dem der Unfall dann bereits Jahre zurückliegt. Gestützt auf die im Prozess vorgelegten Arztberichte wird dann eine "Kaffeesatz-Leserei" dergestalt betrieben, dass auf Aufforderung des Gerichts für einzelne Tat- bzw. Zeiträume eine MdE ermittelt werden soll. Die Erfahrung lehrt, dass selbst schwer Verletzte mit zunehmendem Zeitablauf lernen, mit ihrer Verletzung zu leben. Dies kann aber nicht im Sinne der Unfallgeschädigten sein, wenn eine beweiskräftige Feststellung ihres Zustandes auf einen späten Zeitpunkt verlegt wird. Es ist taktisch viel klüger, hier bereits im ersten Jahr nach dem Schadenereignis zu einer Begutachtung zu gelangen, die dann naturgemäß auch sämtliche Beschwerden des zu Begutachtenden dokumentiert. Es wird dem Versicherer dann auch regelmäßig der Einwand genommen, dass der vom Sachverständigen festgestellte Zustand auf spätere weitere Verletzungen – unfallunabhängig – zurückzuführen seien, wie man dies in der Praxis immer wieder erlebt. Es soll an dieser Stelle nicht geleugnet werden, dass das selbstständige Beweisverfahren sich gelegentlich ebenfalls zwei bis drei Jahre hinzieht. Insoweit besteht aber keinerlei Unterschied zu einem oft erst Jahre später anhängig gemachten gerichtlichen Erkenntnisverfahren. Auch hier werden durch immer wieder neue Fragestellungen durch die Beklagtenseite oder auch durch die Klägerseite entsprechende Nachbegutachtungen bzw. ergänzende Stellungnahmen des Sachverständigen erforderlich. Auch hier erfolgt häufig eine Erläuterung des Sachverständigengutachtens in einem anberaumten Termin. Der entscheidende Unterschied liegt indes darin, dass diese beweiskräftige Feststellung sehr zeitnah nach einem schweren Unfallereignis "auf den Weg gebracht" werden kann. Hierbei wird der sachbearbeitende Rechtsanwalt immer entscheiden müssen, ob er ein reines Privatgutachten in Auftrag gibt oder aber ob er den Weg des selbstständigen gerichtlichen Beweisverfahrens beschreitet.[65]

[65] Vgl. Becker, Die Einholung von Sachverständigengutachten in der außergerichtlichen Personenunfallschadenregulierung, ZFS 2017, 427 ff.

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