1. Die Klage ist als Feststellungsklage im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.

Allerdings handelt es sich bei der Frage der Bindungswirkung des Stichentscheids vom 20.11.2019 für sich genommen um kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Klageanträge sind jedoch als Prozesserklärungen auszulegen. Für diese Auslegung, ist – ebenso wie bei materiell-rechtlichen Willenserklärungen – nicht allein der Wortlaut der Erklärung maßgebend. Entscheidend ist vielmehr der erklärte Wille, wie er auch aus Begleitumständen und nicht zuletzt der Interessenlage hervorgehen kann. Im Zweifel gilt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (…). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs entsprach es dem Interesse des Klägers, die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für das Klageverfahren vor dem LG M im Haftungsprozess gegen RA G zu erreichen. Hierbei ging er davon aus, dass die Bindungswirkung des Stichentscheids – was zutrifft – eine notwendige rechtliche Vorfrage für diesen Anspruch ist. Auch sein Wille war erkennbar lediglich auf Feststellung der Gewährung bedingungsgemäßen Rechtsschutzes gerichtet, wie sich aus der Formulierung seines Hauptantrags ergibt. Dass er die Bindungswirkung des Stichentscheids hierbei nur als Begründungselement des Anspruchs auf Rechtsschutzgewährung ansieht, macht bereits die Zusammenfassung beider Fragen in einem einheitlichen Klageantrag deutlich (s. zu einer vergleichbaren Fallgestaltung BGH r+s 2017, 320).

2. Die Klage ist auch begründet. Die Bekl. ist zur Gewährung von Deckungsschutz für den Haftungsprozess aufgrund des Rechtsschutzversicherungsvertrages verpflichtet. Dem Stichentscheid vom 20.11.2019 kommt Bindungswirkung zu (a)) und der Rechtsschutzfall ist in versicherter Zeit eingetreten (b)).

a) Der Anspruch des Kl. auf Gewährung von Deckungsschutz für die gegen RA G im Haftungsprozess vor dem LG M erhobene Feststellungsklage beruht auf § 3a Abs. 2 Satz 2 ARB 2012. Hiernach ist ein nach Ablehnung von Rechtsschutz durch den Versicherer wegen u.a. fehlender Erfolgsaussicht der Wahrnehmung rechtlicher Interessen auf Veranlassung des Versicherungsnehmers von einem RA gefertigter Stichentscheid für beide Teile bindend, es sei denn, dass er offenbar von der wirklichen Sach- und Rechtslage erheblich abweicht.

aa) Die von der Bekl. in ihrem Schreiben vom 5.12.2019 erhobenen formalen Bedenken gegen eine Bewertung des Schreibens der vom Kl. beauftragten RAin F vom 20.11.2019 als Stichentscheid sind unbegründet.

Die Bestimmung in § 3a Abs. 2 Satz 1 ARB 2012 erfordert eine begründete Stellungnahme dazu, ob die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Erfolg steht und hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht. Der den Stichentscheid fertigende RA ist demgemäß gehalten, die Grundlagen seiner gutachterlichen Entscheidung und den Weg, auf dem er zu ihr gelangt ist, aufzuzeigen; er hat deshalb grundsätzlich den entscheidungserheblichen Streitstoff darzustellen, anzugeben, inwieweit für bestrittenes Vorbringen Beweis oder Gegenbeweis angetreten werden kann, die sich ergebenden rechtlichen Probleme unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Rechtslehre herauszuarbeiten und das nach seiner Ansicht bestehende (Prozess-)Risiko aufzuzeigen, d.h. sich auch mit etwa vorhandenen Argumenten auseinanderzusetzen, die gegen eine Erfolgsaussicht sprechen. Wie umfänglich der Rechtsanwalt die Stellungnahme gestaltet ist abhängig vom Umfang oder von der Komplexität des Streitstoffs, von dem Stand der vorangegangenen Korrespondenz mit dem Rechtsschutzversicherer und seiner dadurch begründeten Vorkenntnis, ferner von dem Stadium, in dem sich die Interessenwahrnehmung jeweils befindet (vgl. BGH, VersR 1990, 414 unter 1 b; (…)).

Der Stichentscheid muss nicht in jedem Fall eine umfassende Prüfung der Sach- und Rechtslage beinhalten und die Erfolgsaussicht der beabsichtigen Rechtsverfolgung oder – verteidigung in allen Einzelheiten prüfen. Er darf sich vielmehr darauf beschränken, auf die Punkte einzugehen, die zwischen Versicherer, und VN im Streit sind und auf die der VR seine Ablehnung gestützt hat. Der VR ist demgemäß gehalten, in seiner Ablehnungsentscheidung alle Gründe anzuführen, warum er keinen Rechtsschutz gewähren will. Räumt der vom VN beauftragte Rechtsanwalt diese vom VR ins Feld geführten Ablehnungsgründe aus, ohne dass der Stichentscheid von der Sach- und Rechtslage erheblich abweicht, dann ist er bindend und der VR muss Rechtsschutz gewähren. Er kann dann keine weiteren Ablehnungsgründe mehr nachschieben (Senat, VersR 2012, 563; OLG Düsseldorf, VersR 2019, 1550. 1553: OLG Naumburg, VersR 2017, 882).

Gemessen daran wird der Stichentscheid den sich aus § 3a Abs. 2 Satz 1 ARB 2012 ergebenden Anforderungen gerecht. Die Bekl. hatte sich in ihrer Deckungsablehnung ausdrücklich allein darauf bezogen, dass der vom Kl. in dem in Aussicht genommenen Haftungsprozess geltend gem...

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