BDSG § 6b § 28; ZPO § 284 § 286

Leitsatz

a) Die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens ist mit den datenschutzrechtlichen Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes nicht vereinbar.

b) Die Verwertung von sog. Dashcam-Aufzeichnungen, die ein Unfallbeteiligter vom Unfallgeschehen gefertigt hat, als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess ist dennoch zulässig.

BGH, Urt. v. 15.5.2018 – VI ZR 233/17

Sachverhalt

Der Kl. nimmt den Bekl. und dessen Haftpflichtversicherung aufgrund eines Verkehrsunfalls auf restlichen Schadensersatz in Anspruch. Die Kfz der Parteien waren innerorts beim Linksabbiegen auf zwei nebeneinander geführten Abbiegespuren seitlich zusammen gestoßen. Der Streit der Parteien drehte sich darum, wer von ihnen unter Abkommen von seiner Spur die Kollision herbeigeführt hatte. Der Fahrvorgang vor der Kollision und diese selbst wurden von einer im Kfz des Kl. angebrachten Dashcam aufgezeichnet.

Das AG sprach dem Kl. unter Ansetzung der Betriebsgefahr die Hälfte des geltend gemachten Schadens zu, da für ein überwiegendes Verschulden des beklagten Halters kein zulässiger Beweis angetreten worden sei. Das Beweisangebot des Kl., die mit Hilfe der Dashcam gefertigten Aufnahmen zu verwerten, lehnte das AG ab. Die Berufung des Kl. lieb erfolglos. Auch das LG, das die Revision zuließ, ging von einem Beweisverwertungsverbot aus. Da die Dashcam-Aufzeichung gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen habe, habe das Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Die Revision des Kl. hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückerweisung, damit die Haftungsquote unter Auswertung der Dashcam-Aufzeichnung geklärt werden kann.

2 Aus den Gründen:

"… Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des BG unterliegt die vom Kl. vorgelegte Videoaufzeichnung keinem Beweisverwertungsverbot."

1. Im Ergebnis zutreffend ist das BG allerdings davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche Videoaufzeichnung nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen unzulässig ist. Die Aufzeichnung verstößt gegen § 4 Abs. 1 BDSG, da sie ohne Einwilligung der Betr. erfolgt ist und nicht auf § 6b Abs. 1 BDSG oder § 28 Abs. 1 BDSG gestützt werden kann.

a) Es ist in Literatur und Rspr. streitig, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Aufzeichnungen mit einer Dashcam datenschutzrechtlich zulässig sind.

aa) Erwogen wird, ob die Erhebung der Daten bereits durch § 1 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BDSG vom Schutz des BDSG ausgenommen ist, weil sie für einen rein persönlichen Zweck erfolge (vgl. Ahrens MDR 2015, 926, 927; so für die Gewinnung von Beweismitteln für private Zwecke im Gegensatz zu gewerblichen Zwecken Lutz, Automatisiertes Fahren, Dashcams und die Speicherung beweisrelevanter Daten, 2017, S. 97; Klann DAR 2013, 188; ablehnend Balzer/Nugel NJW 2014, 1622, 1625, da die Dashcams überwiegend gerade zu Beweiszwecken betrieben würden; ebenso Atzert/Franck RDV 2014, 136, 137; vgl. auch VG Göttingen ZD 2017, 496 Rn 29; VG Ansbach zfs 2014, 687, 689). Für eine Privilegierung als persönliche oder familiäre Tätigkeit spreche, dass der Erfassungsbereich i.d.R. nicht die persönliche Wahrnehmungssphäre des Verwenders überschreite. Die Ausnahme der persönlichen Tätigkeit könne deshalb derjenige in Anspruch nehmen, der seine Fahrt aus rein persönlichen Zwecken, insb. Erinnerungszwecken aufzeichnen wolle (Fuchs ZD 2015, 212, 215). Nach a.A. ist dieser Ansicht durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Rynes (Urt. v. 11.12.2014 – C-212/13, ZD 2015, 77) die Grundlage entzogen. Soweit sich eine Videoüberwachung wie in diesem Fall auch nur teilweise auf den öffentlichen Raum erstrecke und dadurch den Bereich der rein privaten Sphäre verlasse, könne sie nicht als ausschließlich persönliche oder familiäre Tätigkeit betrachtet werden (vgl. Lohse VersR 2016, 953, 958; Reibach DuD 2015, 157, 160; Zimmermann DSRITB 2016, 171, 176; a.A. Lutz, a.a.O., S. 100, wonach sich die Entscheidung nur auf festinstallierte Kameras beziehe).

bb) Überwiegend wird die Vereinbarkeit von Dashcam-Aufzeichnungen mit § 6b BDSG als fraglich und nur unter besonderen Voraussetzungen als gegeben erachtet. Nach § 6b Abs. 1 BDSG ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig, soweit sie zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betr. überwiegen (§ 6b Abs. 1 BDSG). Nach § 6b Abs. 3 BDSG ist die Verarbeitung oder Nutzung von nach Abs. 1 erhobenen Daten zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betr. überwiegen.

(1) In Frage gestellt wird das Merkmal der Beobachtung (§ 6b Abs. 1 BDSG), da es eine gewisse Dauerhaftigkeit voraussetze, die bei Aufnahmen...

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