1. Die in § 108 SGB VII angeordnete Bindungswirkung ist notwendig, um zu verhindern, dass ein Geschädigter, der nach einem Unfallereignis Ersatzansprüche geltend machen will, sich zwischen die Stühle setzt und leer ausgeht. Lehnt die Haftpflichtversicherung des Schädigers unter Hinweis auf sozialrechtliche Haftungsausschlüsse (§§ 104106 SGB VII) die Eintrittspflicht ab und folgt dem das Zivilgericht, kann der an die Entscheidung des Zivilgerichts nicht gebundene Unfallversicherungsträger und das Sozialgericht zu der Auffassung gelangen, dass dem Geschädigten allein Ansprüche nach dem Zivilrecht zustehen und sozialrechtliche Ansprüche nicht gegeben sind. Nur § 108 SGB VII kann verhindern, dass der Geschädigte leer ausgeht (vgl. Lemcke, r+s 2011, 270).

2. Die Klärung der Voraussetzungen der zivilrechtlichen Ansprüche durch die Verneinung sozialrechtlicher Ausschlussgründe führt zu einer einheitlichen Bewertung des Schadensfalles.

Die Bindungswirkung der positiven wie negativen Entscheidung des Unfallversicherungsträgers (§ 77 SGG) wie des Sozialgerichts (§ 141 SGG) umfasst zunächst die Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt (vgl. BGH VersR 2005, 549). Damit werden die in der gesetzlichen Unfallversicherung erfassten Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten angesprochen (vgl. § 7 Abs. 1 SGB VII). An diese Entscheidung ist der Zivilrichter gebunden, so dass ein zivilrechtlicher Haftungsausschluss eingreift (vgl. BGH VersR 1995, 682).

Daran knüpft eine weitere Bindungswirkung an: Mit der Entscheidung wird zugleich festgeschrieben, dass der Geschädigte zu den versicherten Personen gehört (vgl. BGH VersR 2006, 548). Er gilt als Versicherter in der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. OLG Bamberg VersR 1992, 766).

Weiterhin erstreckt sich die Bindungswirkung darauf, wer als Betriebsunternehmer in Betracht kommt (vgl. Schneider, in: Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kapitel 79 Rn 23–29).

Haftungsrechtlich darf allerdings das Zivilgericht den Unfall abweichend von der Entscheidung des Unfallversicherungsträgers dem Unternehmen des Entleihers zuordnen (BGH VersR 2015, 189).

Abgeschlossen wird die Bindungswirkung dadurch, dass die Höhe der vom Versicherungsträger zu erbringenden Leistungen festgeschrieben wird (vgl. OLG Frankfurt VersR 1972, 1122; Schneider, in: Wussow a.a.O., Kapitel 79 Rn 30 und 31).

3. Keine Bindungswirkung kommt etwaigen Aussagen der Unfallversicherungsträger zu Haftungsbefreiungen und dem Vorliegen einer gemeinsamen Betriebsstätte zu (BGH VersR 2013, 460). Diese Umstände sind wie Erörterungen zivilrechtlicher Haftungsfragen keine sozialrechtlichen Vorfragen, die nach § 108 SGB VII zu behandeln sind.

Bestreitet der Schädiger die zivilrechtliche Kausalität zwischen Unfall und Schaden, ist das durch die Bejahung der Kausalität durch den Versicherungsträger nicht mit Bindungswirkung festgestellt. Dies deshalb, da für das Sozialrecht die Feststellung der Kausalität nach der Theorie der wesentlichen Bedingung erfolgt, wonach ein Ereignis nur dann kausal für den schädigenden Erfolg ist, wenn es eine wesentliche Bedingung gesetzt hat, wobei auf die Verknüpfung von sozialrechtlicher Tätigkeit und schädigendem Erfolg abgestellt wird (vgl. BSGE 30, 167, 178; Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, S. 105 ff). Damit befasst sich eine etwaige Entscheidung des Unfallversicherungsträgers nicht mit den Zurechnungsvoraussetzungen des Zivilrechts, die auf die Gleichwertigkeit der Bedingungen abstellen und damit bei der Prüfung der Haftungsfrage von dem Zivilgericht eigenständig festzustellen sind (vgl. BGH VersR 2009, 995).

4. Die Aussetzungspflicht des Zivilgerichts nach § 108 Abs. 2 SGB VII wird häufig nicht beachtet, stattdessen werden von dem Zivilgericht aufhebungsträchtig Versuche zur Klärung der sozialrechtlichen Vorfragen unternommen. Nach den Beobachtungen von Lemcke hat diese Praxis Tradition (r+s 2008, 309). Nach einer von Dahm mitgeteilten Entscheidung des OLG Celle (Dahm, NZV 2011, 118, 119; OLG Celle – 14 W 10/10) darf – schon um Verschleppungsversuche zu verhindern – eine Aussetzung des Verfahrens vor dem Zivilgericht bis zum Vorliegen einer unanfechtbaren Entscheidung nach dem SGG nicht erfolgen. Da die Aussetzung des Verfahrens auch bei der betroffenen Partei auf wenig Gegenliebe stößt, darf lediglich eine Frist zur Verfahrenseinleitung vor den in dem SGG genannten Stellen gesetzt werden. Kommt dem die angesprochene Partei nicht nach, muss der Zivilrichter die in § 108 SGB VII aufgeworfenen Fragen klären (vgl. OLG Celle a.a.O.; Dahm a.a.O., S. 120; vgl. auch Horst/Katzenstein, VersR 2009, 165).

RiOLG a.D. Heinz Diehl

zfs 10/2017, S. 561 - 565

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