"II. Das Rechtsmittel ist zulässig, insb. am 18.10.2016 rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist nach Zustellung des Beschl. am 14.10.2016 erhoben. Auch in der Sache hat es Erfolg. Der Wiederaufnahmeantrag ist i.S.d. § 368 StPO zulässig und gem. § 370 StPO begründet."

Das Wiederaufnahmevorbringen, wonach die Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG aufgrund der rückwirkenden Aufhebung der Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Urt. des OVG Berlin-Brandenburg entfiele, ist nicht aufgrund des Beschl. des AG Tiergarten v. 12.8.2015 verbraucht. Denn – wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt – stellte er in seinem Schreiben v. 10.5.2014 gerade keinen ausdrücklichen Wiederaufnahmeantrag. Es widerspräche aber dem Begünstigungsgrundsatz, aus diesem Schreiben einen solchen konkludent gestellten Antrag herzuleiten und ihn dann wegen Formmangels i.S.d. § 366 Abs. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen, weil er eben nicht vom Beschwerdeführer selbst durch ein einfaches Schreiben hätte gestellt werden können. Insoweit geht der vorangegangene Beschl. des AG Tiergarten ins Leere.

Zudem liegt hier ein Wiederaufnahmegrund gem. § 359 Nr. 4 StPO in entsprechender Anwendung vor. Danach ist die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urt. abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten zulässig, wenn ein zivilgerichtliches Urt., auf welches das Strafurt. gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urt. aufgehoben ist. Diese Vorschrift ist entsprechend auf die spätere verwaltungsgerichtliche Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, der die Strafbarkeit begründet hat, anzuwenden (vgl. BVerfGE 22, 21 = Beschl. v. 23.5.1967 – 2 BvR 534/62; OLG Frankfurt, BeckRS 9998, 111526; LR-Gössel, StPO, 26. Aufl. 2012, § 359 Rn 47; a.A. BGHSt 23, 86 = Beschl. v. 23.7.1969 – 4 StR 371/68; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 359 Rn 17). Die Argumentation des BGH, wonach dies nicht in Betracht komme, da die Strafbarkeit einer strafbewehrten Zuwiderhandlung gegen einen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt auch dann gegeben sei, wenn dieser nachträglich durch ein Verwaltungsgericht mit ex-tunc-Wirkung als rechtwidrig aufgehoben werde, vermag nicht zu überzeugen. Danach müsse dem Betr. zugemutet werden, der Anordnung bei Gefahr der Bestrafung nachzukommen, auch wenn noch nicht feststehe, ob eine Zuwiderhandlung letztlich das sachliche Recht verletze, weil noch die Möglichkeit der Aufhebung des Verwaltungsaktes durch das Verwaltungsrecht bestehe (vgl. BGH, a.a.O.). Dies würden die berechtigten Bedürfnisse der staatlichen Ordnung gebieten, welche auch ein Anliegen der Allgemeinheit seien und denen sich jeder einsichtige Bürger, der Ordnung und Sicherheit wünsche, beugen müsse (vgl. BGH, a.a.O.). Die spätere Aufhebung eines strafbewehrten Verwaltungsaktes lasse die Strafbarkeit einer bereits vorher begangenen Zuwiderhandlung unberührt, da der spätere Wegfall eines Tatumstandes, der für die Verwirklichung des Straftatbestandes wesentlich gewesen sei, auch dann die bereits vollendete Zuwiderhandlung nicht beseitigen könne, auch wenn der Tatumstand rückwirkend entfalle (vgl. BGH, a.a.O.).

Hiergegen ist zunächst mit dem BVerfG einzuwenden, dass zwischen der verwaltungsrechtlichen Durchsetzung eines sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes und der Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen diesen nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht zu unterscheiden ist (vgl. BVerfGE 87, 399 = Beschl. v. 1.12.1992 – 1 BvR 88/91, 1 BvR 576/91). Der Grund dafür, dass es bei der Durchsetzung eines sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes nicht auf dessen Rechtmäßigkeit ankommt, liegt in der Situationsgebundenheit der Entscheidung, deren Vollzug nicht bis zur verbindlichen oder auch nur vorläufigen Klärung der Rechtsfrage aufgeschoben werden kann (vgl. BVerfG, a.a.O.). Bei der Verhängung einer Sanktion für die Nichtbefolgung der Anordnung fehlt dieser Grund. Sie erfolgt immer erst nach dem Ereignis und erlaubt daher eine verbindliche Klärung der Rechtmäßigkeit (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Entscheidend ist, dass die Rechtswidrigkeit des strafbarkeitsbegründenden Verwaltungsaktes von Anfang an – aufgrund der ex-tunc Wirkung der Aufhebung – bestand, weshalb in Wahrheit mangels Rechtsgutsbeeinträchtigung gar kein Unrecht begangen wurde und es damit mit dem Gegenstand des Schuldvorwurfs auch an diesem selbst fehlt (vgl. LR-Gössel, a.a.O., § 359 Rn 47). Der Strafausspruch verstößt in solchen Fällen daher gegen den Grundsatz “nulla poena sine culpa' und entspricht einem obrigkeitsstaatlichen Denken, das in einem Rechtsstaat verfehlt erscheint (Vgl. LR-Gössel, a.a.O.).

Wird nun der sofort vollziehbare Verwaltungsakt nachträglich im Verwaltungsrechtsweg aufgehoben, nachdem das Strafverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen wurde, so ist die Wiederaufnahme des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 359 Nr. 4 StPO möglich. Insofern trägt hier ein Erst-Recht-Schluss, da die Vorschrift ihrem Sinn nach nicht nur auf “zivil...

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