RVG § 11 Abs. 8 § 14 Abs. 1 S. 1; BGB § 315 Abs. 1 § 397 Abs. 1

Leitsatz

Beantragt der Rechtsanwalt gegen seinen Mandanten, nachdem er diesem höhere Rahmengebühren in Rechnung gestellt hat, die Festsetzung der Mindestgebühren, verzichtet er damit auf die weitere Gebührenforderung.

BGH, Urt. v. 4.7.2013 – IX ZR 306/12

Sachverhalt

Der klagende Rechtsanwalt hatte den Bekl. in einem Bußgeldverfahren vertreten und seine Vergütung mit Schreiben v. 1.6.2010 i.H.v. 892,50 EUR berechnet. In Höhe dieses Betrages beantragte er bei dem AG die Vergütungsfestsetzung gegen den Bekl. Nach Hinweis des Rechtspflegers auf die Regelung des § 11 Abs. 8 RVG ermäßigte der Anwalt sein Begehren auf die jeweilige Mindestgebühr zzgl. Postentgeltpauschale und Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt 154,70 EUR, die antragsgemäß gegen den Bekl. festgesetzt wurden.

Mit seiner Klage vor dem AG M hatte der Kl. den Bekl. daraufhin auf Zahlung des Differenzbetrages von 737,80 EUR in Anspruch genommen. Das AG hat die Klage abgewiesen, die Berufung des Kl. hiergegen blieb erfolglos. Der BGH hat die zugelassene Revision zurückgewiesen.

2 Aus den Gründen:

[7] "… Bei Rahmengebühren – wie sie hier mit Rücksicht auf die Gebührentatbestände der Nr. 5100, 5109, 5113 VV RVG im Streit stehen – bestimmt der Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Damit eröffnet § 14 Abs. 1 S. 1 RVG dem Rechtsanwalt ein Leistungsbestimmungsrecht, seine Vergütung nach Maßgabe des § 315 Abs. 1 BGB festzusetzen. Macht der Rechtsanwalt von seinem Leistungsbestimmungsrecht durch Erklärung gegenüber dem Mandanten (§ 315 Abs. 2 BGB) Gebrauch, ist er an die von ihm getroffene Bemessung der Gebühr gebunden (BGH NJW 1987, 3203; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 20. Aufl., § 14 Rn 4; Bischof/Jungbauer, RVG, 5. Aufl., § 14 Rn 118; Lutje/von Seltmann, Beck OK RVG, § 11 Rn 116; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Rn 1096). Hat der Rechtsanwalt das Bestimmungsrecht ausgeübt, kann er davon nachträglich auch nicht zugunsten des Mandanten abweichen (BGH, a.a.O.). Im Streitfall hat der Kl. durch Schreiben v. 1.6.2010 sein Ermessen bindend dahin gehandhabt, dass er die Rahmengebühren einschließlich Nebenkostenpauschale und Umsatzsteuer auf 892,50 EUR bestimmt."

[8] 2. Der Kl. hat sich jedoch im Festsetzungsverfahren durch einen Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) mit dem Bekl. dahin geeinigt, für seine Tätigkeit lediglich die Mindestgebühren von 154,70 EUR zu erheben.

[9] a) Wenn feststeht oder davon auszugehen ist, dass eine Forderung entstanden ist, verbietet dieser Umstand im Allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben (BGH WM 2002, 822, 824; WM 2012, 2231 Rn 22). In der Kostenabrechnung eines Rechtsanwalts kann im Blick auf eine darüber hinaus gehende Honorarforderung das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrags zu erkennen sein, wenn mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, dass eine materiell-rechtlich wirkende Erklärung abgegeben werden soll (BGH RVGreport 2006, 236 (Hansens) = zfs 2006, 408). Ausnahmsweise kommt ein Verzichtsvertrag durch schlüssiges Handeln in Betracht, wenn ein unzweideutiges Verhalten des Gläubigers vorliegt, das vom Erklärungsgegner nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Aufgabe des Rechts verstanden werden kann. Dies kann anzunehmen sein, wenn ein triftiger Grund für einen Verzicht eingreift (BGH DB 1957, 210; FamRZ 1981, 763).

[10] b) Nach diesen Maßstäben hat der Kl. durch die Übermittlung des auf die Mindestgebühr gerichteten Festsetzungsantrags dem Bekl. den Antrag unterbreitet, ihm die über die Mindestgebühr hinausgehende Honorarforderung zu erlassen (§ 397 Abs. 1 BGB). Der konkludente Erlass der weitergehenden Gebührenforderung beruht auf einem triftigen Grund, weil der Rechtsanwalt mit Rücksicht auf § 11 Abs. 8 S. 1 Fall 1 RVG eine Festsetzung der Mindestgebühr nur beantragen darf, wenn er auf eine zusätzliche Honorarforderung verbindlich verzichtet. Denn dem Rechtsanwalt ist sowohl nach dem Wortlaut der Bestimmung als auch nach dem Willen des Gesetzgebers im Anschluss an die Festsetzung der Mindestgebühr die Verfolgung einer darüber hinausgehenden Honorarforderung versagt.

[11] aa) Gem. der außer Kraft getretenen Regelung des § 19 Abs. 1 BRAGO wurde die gesetzliche Vergütung, die dem Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten zustand, auf seinen Antrag durch das Gericht des ersten Rechtszuges festgesetzt. § 19 Abs. 8 BRAGO schrieb ausdrücklich vor, dass dieses Verfahren bei Rahmengebühren nicht galt. Im Widerspruch zu dem Wortlaut dieser Bestimmung ließen einzelne Gerichte eine Festsetzung von Rahmengebühren zu, wenn der Rechtsanwalt die Gebühr gegenüber dem Auftraggeber verbindlich auf die Mindestgebühr bestimmt hatte (vgl. die Nachweise bei Gerold/Schmidt/v. Eicken, BRAGO, 15. Aufl., ...

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