[3] “I. Das BG führt aus, der Kl. habe durch den Unfall eine Wirbelsäulenprellung mit Distorsion der Halswirbelsäule, die dem Grad I nach Erdmann entspreche, sowie Prellungen des Thorax und des Brustbeins erlitten. Eine Fraktur der Hals- und Brustwirbelsäule sei ebenso wenig eingetreten wie Bewusstlosigkeit oder eine Gehirnerschütterung. Eine durch den Unfall verursachte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sei auch nach dem für die haftungsausfüllende Kausalität geltenden reduzierten Beweismaß des § 287 ZPO nicht festzustellen. Bei dem Kl. habe sich unmittelbar nach dem Unfall allerdings eine akute Belastungsreaktion entwickelt. Es liege eine Anpassungsstörung vor, die nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten könne und durch depressive Stimmung, Angst oder Sorge und das Gefühl, mit alltäglichen Gegebenheiten nicht zurechtzukommen, gekennzeichnet sei. Daneben sei eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung eingetreten, deren Chronifizierung auf eine psychische Somatik hindeute. Ferner habe sich infolge des Unfalls eine dissoziative Störung der Bewegungs- und Sinnesempfindung entwickelt, die sich mit Symptomen wie der auffälligen Körperhaltung des Kl., Ataxien (Störungen der Koordination von Bewegungsabläufen), Pelzigkeitsgefühlen sowie einer verstärkten Schmerzwahrnehmung äußere.

[4] Die durch den Unfall ab dem Jahr 1995 eingetretenen Beschwerden seien den Bekl. jedoch schadensrechtlich nicht mehr zuzurechnen. Das vom Kl. erlittene Halswirbelsäulenschleudertrauma mit Prellungen gehe zwar über das Maß einer Bagatellverletzung hinaus, die durch ein grobes Missverhältnis zwischen einer im Alltagsleben typischen und häufig auftretenden Verletzung und der psychischen Reaktion gekennzeichnet sei. Die Zurechnung sei aber zu versagen, weil die Beschwerden auf einer Renten- oder Begehrensneurose beruhten. Diese zeichne sich dadurch aus, dass der Geschädigte den erlittenen Unfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nehme, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H hätten zunächst die somatoform-funktionelle Symptomatik und danach persönlichkeitsbedingte Faktoren im Vordergrund gestanden. Im ersten Jahr nach dem Unfall sei dem Unfallgeschehen etwa 60 % Einfluss auf die Beschwerden zuzuordnen und der Persönlichkeit etwa 40 %; ab dem zweiten Jahr würden die persönlichkeitsbedingten Faktoren überwiegen und etwa 90 % der Beschwerden und Funktionseinschränkungen bedingen. Da neurotische Fehlentwicklungen häufig nicht nur auf einer Ursache beruhten, sei es sachgerecht, schon dann den Zurechnungszusammenhang zum Unfallereignis abzulehnen, wenn der neurotische Zustand des Geschädigten entscheidend von der Begehrensvorstellung geprägt, der Versorgungswunsch also der wesentliche ausschlaggebende Faktor gewesen sei. Dies sei dann der Fall, wenn – wie im Streitfall – 90 % des Krankheitsbildes durch eine Begehrensneurose verursacht würden.

[5] Dem Kl. seien bis zum 31.1.1994 materielle Schäden i.H.v. insgesamt 4.230,29 EUR entstanden (76,69 EUR durch die Beschädigung einer Jacke, 894,24 EUR Aufwendungen im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen einschließlich Fahrtkosten, 940,16 EUR Verdienstausfall sowie ein Haushaltsführungsschaden i.H.v. 2.319,20 EUR). Als Schmerzensgeld sei für die zurechenbaren Verletzungsfolgen ein Betrag von insgesamt 12.000 EUR angemessen. Davon seien dem Kl. unter Berücksichtigung der vorgerichtlichen Zahlung noch 11.000 EUR zuzusprechen. Der Feststellungsantrag sei unbegründet, weil nach den vorgenannten Ausführungen dem Unfall zurechenbare Schäden nach dem 31.12.1994 nicht mehr festzustellen seien. Der krankheitsbedingt verfallene Resturlaubsanspruch aus dem Jahr 1993 und der krankheitsbedingt nicht entstandene Urlaubsanspruch für das Jahr 1994 begründeten keinen Schadensersatzanspruch, weil der Kl. hierdurch keine Vermögenseinbuße erlitten habe.

[6] II. Die Revision hat keinen Erfolg. Die Beurteilung des BG, für die ab dem Jahr 1995 eingetretenen Verletzungsfolgen fehle der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

[7] 1. Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des BG zur Haftung für psychische Folgeschäden.

[8] a) Der haftungsrechtlich für eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung verantwortliche Schädiger hat grds. auch für Folgewirkungen einzustehen, die auf einer psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen; für die Ersatzpflicht als haftungsausfüllende Folgewirkung des Unfallgeschehens genügt die hinreichende Gewissheit, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre (Senatsurt. v. 30.4.1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 343 f., 346; v. 11.11.1997 – VI ZR 376/96, BGHZ 137, 142, 145; v. 9.4.1991 – VI ZR 106/90, VersR 1991, 704, 705; v. 25.2.1997 – VI ZR 101/96, VersR 1997, 752, 753 und v. 16.3.2004 – VI ZR 138/03, VersR 2004, 874; M...

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