Hinweis

Sehr geehrte Damen und Herren,

der von Ihnen im Rahmen der Abrechnung vorgenommene Abzug der Aufwendungen für Coronaschutzmaßnahmen ist nicht gerechtfertigt. Die in der Rechnung ausgewiesenen (oder bei fiktiver Abrechnung: vom Gutachter kalkulierten) Desinfektionskosten sind in voller Höhe erstattungsfähig.

 

Erläuterung:

Die Coronapandemie macht auch vor dem Verkehrsunfallrecht keinen Halt. Aktuell wird die Frage sehr kontrovers erörtert und entschieden, ob Desinfektionskosten bei der Reparatur eines verunfallten Kfz einen zu ersetzenden Schaden darstellen.

Bei einer konkreten Abrechnung sind die entsprechenden Aufwendungen in jedem Fall zu erstatten. Es muss davon ausgegangen werden, dass entsprechende Desinfektionsmaßnahmen im Rahmen der in Auftrag gegebenen Reparatur und somit im Rahmen der Schadenregulierung konkludent vereinbart worden sind (vgl. z.B. AG Kempten v. 14.10.2020 – 6 C 844/20; AG Aichach v. 29.9.2020 – 101 C 560/20; Staudinger/Altun NZV 2021, 169 ff.), sofern nicht objektive Anhaltspunkte gegen eine solche Annahme sprechen. Auch kommt es nicht darauf an, ob die Rechnung bereits bezahlt worden ist, da auch die Belastung mit einer Verbindlichkeit einen Schaden darstellt (vgl. AG Landsberg-Lech v. 15.10.2020 – 1 C 468/20; AG Münster v. 11.9.2020 – 28 C 1823/20; AG Pforzheim v. 17.11.2020 – 4 C 208/20; AG Lünen v. 14.10.2020 – 9 C 91/20). Bezüglich der Erforderlichkeit darf nach der Rechtsprechung des BGH der Geschädigte diejenigen Kosten ersetzt verlangen, die, vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten, zur Regulierung zweckmäßig und notwendig erscheinen (vgl. BGH v. 15.10.1991 – XI ZR 314/90). Insoweit ergibt sich aus den Hinweisen des Robert-Koch-Instituts, dass unter anderem … "eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen … insbesondere in der unmittelbaren Umgebung der infektiösen Person nicht auszuschließen ist, da vermehrungsfähige SARS-CoV 2 Viren unter Laborbedingungen auch auf Flächen einige Zeit infektiös bleiben". Da es insoweit im Rahmen der Reparaturmaßnahmen eindeutig zu Berührungen des Fahrzeugs kommt, dürfte sich auch eine entsprechende Desinfektion der Kontaktflächen als in jedem Fall objektiv erforderlich darstellen (vgl. Staudinger/Altun a.a.O.), ohne dass es darauf ankommt, dass in vielen anderen Bereichen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben entsprechende Desinfektionskosten nicht auf Besucher, Kunden, etc. umgelegt werden.

Entsprechende Kosten sind darüber hinaus auch bereits unter dem Gesichtspunkt des Werkstattrisikos uneingeschränkt erstattungsfähig (vgl. AG Husum v. 20.5.2021 – 27 C 59/21). Gegebenenfalls müsste der Schädiger darauf verwiesen werden, sich Ansprüche gegen den Reparaturbetrieb abtreten zu lassen.

Bei fiktiver Abrechnung ist die Rechtsprechung insgesamt deutlich zurückhaltender. Da allerdings, wie oben ausgeführt, entsprechende Desinfektionskosten bei konkreter Abrechnung anfallen würden, besteht auch kein Grund, diese im Rahmen der fiktiven Abrechnung als nicht erstattungsfähig anzusehen (vgl. AG Amberg v. 29.1.2021 – 2 C 624/20; AG Köln v. 14.11.2021 – 261 C 157/20; AG Pinneberg Urteil 62 C 86/20; Staudinger/Altun a.a.O.). Im Rahmen der fiktiven Abrechnung muss sich gegebenenfalls allerdings der Geschädigte auf gewisse Pauschalen verweisen lassen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass Desinfektionskosten bei konkreter Abrechnung vollständig erstattungsfähig sind und bei fiktiver Abrechnung jedenfalls im Rahmen von Pauschalbeträgen.

Autor: Dr. Michael Schulte

RA Dr. Michael Schulte, FA Verkehrsrecht, FA für Familienrecht, FA für Arbeitsrecht, Lüdenscheid

zfs 9/2021, S. 483

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