BGB §§ 823, 843 Abs. 1

Leitsatz

Zur Verpflichtung des Schädigers, die Kosten einer verletzungsbedingt erforderlichen Begleitung des Geschädigten durch Begleitpersonen zu ersetzen (hier: verletzungsbedingte Mehrkosten einer Reise nach Gran Canaria).

BGH, Urt. v. 10.3.2020 – VI ZR 316/19

Sachverhalt

Die Kl. wurde im Jahre 1988 geboren. Im Rahmen der Entbindung kam es in dem von der Rechtsvorgängerin der Bekl. betriebenen Krankenhaus zu einer fehlerhaften Behandlung. Die Kl. ist infolge der Operation schwerbehindert, bedarf einer Rundumbetreuung und kann sich nicht bewegen und verbal äußern. Im Jahre 2000 schlossen die Kl. und die Rechtsvorgängerin der Bekl. einen Vergleich. Er sah die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 550.000 DM, von Umbaukosten von 150.000 DM sowie einer monatlichen Rente zum Ausgleich der Betreuungskosten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, den Verdienstausfall einer Altersrente als Schwerbehinderte sowie von Anwaltskosten vor.

Am 14.1.2009 änderten die Parteien den Vergleich teilweise ab. In beiden Fassungen des Vergleichs hatte Nr. 3 folgenden Wortlaut:

"Pflege- und Betreuungskosten, die ab Vollendung des 25. Lebensjahrs entstehen, sollen ab Vollendung des 25. Lebensjahrs neu geregelt werden. Unter Beachtung der dann vorliegenden medizinischen Notwendigkeit sind die tatsächlich entstehenden und konkret nachzuweisenden Kosten zu erstatten unter Anrechnung gesetzlicher Leistungen sowie der Leistungen von SVT."

Am 18.5.2014 reiste die Kl. mit drei Begleitpersonen (ihren Eltern und einer weiteren Person) für eine Woche in ein für Behinderte der Art der Kl. spezialisiertes Hotel auf Gran Canaria. Die Begleitung durch drei Personen war notwendig. Ein nicht Behinderter hätte für Flug und Aufenthalt 600–800 EUR zahlen müssen. Aufgrund des erforderlichen Rollstuhltransportes entstanden für die Kl. Kosten von 1.740 EUR; für die Begleitpersonen von jeweils 1.430 EUR.

Die Kl. hat die Mehrkosten der Reise, gemindert um die ersparten Verpflegungskosten und die wegen ersparter Verpflegungskosten von jeweils 210 EUR gekürzten Reisekosten der Begleitpersonen, geltend gemacht.

Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg. Die Berufung der Bekl. wurde zurückgewiesen. Die zugelassene Revision der Bekl. war erfolglos.

2 Aus den Gründen:

"…"

[8] II. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des BG, der Kl. stehe aus Nr. 3 des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleichs ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Mehrkosten für ihre Reise nach Gran Canaria zu.

[9] 1. Gem. Nr. 3 des Vergleichs sollen Pflege- und Betreuungskosten, die ab Vollendung des 25. Lebensjahrs entstehen, ab diesem Zeitpunkt neu geregelt werden. Unter Beachtung der dann vorliegenden medizinischen Notwendigkeit sind die tatsächlich entstehenden und konkret nachzuweisenden Kosten zu erstatten.

[10] 2. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das BG die der Kl. aufgrund ihrer Behinderung entstandenen Mehrkosten für ihre eigene Reise und die Reisekosten der für ihre Rundumbetreuung erforderlichen Begleitpersonen als zu erstattende Kosten i.S.v. Nr. 3 des Vergleichs angesehen hat. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Auslegung durch das BG, wonach unter den Begriff der Pflege- und Betreuungskosten im Sinne dieser Bestimmung im Grundsatz nicht nur die unabhängig vom Aufenthaltsort der Kl. entstehenden unmittelbaren Kosten, sondern auch die durch eine Veränderung des Aufenthaltsorts der Kl. verursachten Mehrkosten ihrer Betreuung fallen, und wonach sich der Vorbehalt der medizinischen Notwendigkeit auf die Pflege und Betreuung der Kl. nicht aber auf die von ihr unternommene Ortsveränderung bezieht.

[11] a) Die Auslegung von Individualvereinbarungen ist grds. Sache des Tatrichters. Dessen Auslegung unterliegt im Revisionsverfahren nur einer eingeschränkten Überprüfung im Hinblick darauf, ob gesetzliche Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa, weil wesentliches Auslegungsmaterial unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH v. 9.3.2010 – VI ZR 52/09, VersR 2010, 783 Rn 20; BGH v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, GRUR 2018, 297 Rn 32 [media control]; BGH v. 21.2.2019 – I ZR 98/17, BGHZ 221, 181 Rn 56 [HHole (for Mannheim)]; jeweils m.w.N.).

[12] b) Derartige Rechtsfehler liegen nicht vor. Die Auslegung durch das BG ist insb. weder wortsinnwidrig noch verstößt sie gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung.

[13] aa) Der Begriff der Pflege- und Betreuungskosten ist im Ausgangspunkt weit; er umfasst nach allgemeinem Sprachgebrauch all diejenigen Aufwendungen, die für die Pflege oder Betreuung des Betroffenen anfallen. Hierzu gehört auch der Ersatz notwendiger Aufwendungen der Betreuungsperson(en) wie etwa Fahrtkostenersatz (vgl. bspw. zu Kinderbetreuungskosten; BFH v. 10.4.1992 – III R 184/90, BFHE 167, 436 = BStBl II 1992, 814 = juris Rn 21 zu § 33c EStG i.d.F. v. 14.12.1984; FG Stuttgart v. 9.5.2012 – 4 K 32...

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