Über Inhalt und Folgen der geplanten Änderungen für Verkehrs-Ordnungswidrigkeitenverfahren

I. Einführung

Das Bundesland Hessen hat am 13.3.2020 einen Entwurf eines Gesetzes zur Effektivierung des Bußgeldverfahrens[3] in den Bundesrat eingebracht. Am 3.7.2020 beschloss der Bundesrat, den Entwurf aus Hessen in geänderter Fassung in den Bundestag einzubringen.[4] Der Gesetzesentwurf reformiert das Bußgeldverfahren grundlegend. Der Gesetzgeber geht grundsätzlich zutreffend von einer hohen Arbeitsbelastung der Gerichte aufgrund der hohen Gesamtzahl an Verfahren durch Verkehrs-Ordnungswidrigkeitenverfahren aus. Es sei von daher dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf vorhanden. Das Gesetz soll die Justiz angesichts der geringeren Bedeutung von Bußgeldverfahren auf der Rechtsfolgenseite und stereotyper Sach- und Rechtslage[5] entlasten. Ferner sollen Prozesse in Bußgeldsachen zügiger erledigt werden. Ziel ist es, die zeitlichen Kapazitäten, die durch die vorliegende Reform im Ordnungswidrigkeitenverfahren gewonnen werden, für die Durchführung von bedeutenderen Verfahren, insbesondere Strafrichter- und Schöffensachen, einsetzen zu können.[6] Auch die Rechtsbehelfsmöglichkeiten des Betroffenen werden erheblich eingeschränkt. Auf den Alltag des verkehrsrechtlich spezialisierten Rechtsanwalts hätte die Reform grundlegende Auswirkungen. Soviel sei vorweggenommen: Das bisherige Bußgeldverfahren würde nach den Änderungen nicht wiederzuerkennen sein. Der Beitrag stellt die Änderungsvorschläge vor und befasst sich mit den praktischen Konsequenzen für den Betroffenen. Dabei wird auch überprüft, ob die geplanten Gesetzesänderungen mit den rechtsstaatlichen Standards vereinbar sind.

[3] BR Drs. 107/20 (Beschluss).
[4] Bundesrat – Plenarprotokoll, 992. Sitzung – 3.7.2020, S. 229.
[5] BR Drs. 107/20 (Beschluss), S. 10.
[6] BR Drs. 107/20 (Beschluss), S. 12.

II. Reduzierung der Hauptverhandlungstermine

Der Bundesrat steht auf dem Standpunkt, dass sich eine Hauptverhandlung derzeit darin erschöpfe, dass nur der Eichschein, die Zulassung der Messanlage, der Schulungsnachweis des Messbeamten sowie das Ergebnis der Messung durch die Verlesung der in der Akte befindlichen Urkunden eingeführt werden.[7] Insoweit sei kein Grund ersichtlich, warum dies im Rahmen einer Hauptverhandlung zu geschehen habe. Durch die Hauptverhandlung sei daher kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten. Zentrales Anliegen des Gesetzgebers war es daher, dass aufgrund dessen künftig das Gericht gem. § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG-E ohne Durchführung einer Hauptverhandlung durch Beschluss entscheiden können soll, sofern der Betroffene eine solche nicht beantragt und das Gericht diese auch nicht für erforderlich hält. Der Betroffene wird bereits gem. § 66 Abs. 2 Nr. 1c OWiG-E zu dem frühen Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides darauf hingewiesen, dass das Gericht auch ohne Durchführung einer Hauptverhandlung entscheiden kann, sollte der Betroffene keinen entsprechenden Antrag stellen. Regelmäßig müsste der Betroffene bereits mit Einspruchseinlegung einen Antrag auf Durchführung der Hauptverhandlung stellen. Hat der Betroffene die Durchführung einer Hauptverhandlung innerhalb von drei Wochen nach Zustellung des gerichtlichen Hinweises beantragt, ist eine Entscheidung im Beschlusswege unzulässig, § 72 Abs. 1 S. 4 OWiG-E. Dies gilt nicht, wenn das Gericht den Betroffenen freispricht oder wenn gegen den Betroffenen im Bußgeldbescheid eine Geldbuße von weniger als 60 EUR festgesetzt wurde, das Gericht nicht zum Nachteil des Betroffenen von der im Bußgeldbescheid festgesetzten Geldbuße abweicht und der Betroffene ausreichend Gelegenheit hatte, sich schriftlich zu äußern. Der Gesetzgeber hat sich hier an der Eintragungsgrenze ins Fahreignungsregister orientiert. Geht der Widerspruch erst nach Ablauf der neu eingefügten Frist ein, so soll er unbeachtlich sein. In diesem Falle kann jedoch gegen den Beschluss innerhalb einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist beantragt werden, § 72 Abs. 2 OWiG-E. Hat der Betroffene nach Ablauf der drei Wochen einen Antrag auf Durchführung der Hauptverhandlung gestellt und hat das Gericht noch nicht im Beschlusswege entschieden, ist dem Anliegen des Betroffenen Vorrang einzuräumen und trotz Fristversäumung eine Hauptverhandlung anzuberaumen.[8] Hat die Staatsanwaltschaft erklärt, an der Hauptverhandlung nicht teilzunehmen, soll ihr Widerspruch gegen das schriftliche Beschlussverfahren unbeachtlich sein § 72 Abs.1 S. 6 OWiG-E.

Auch die Bestimmungen der grundsätzlich auf das Bußgeldverfahren anwendbaren Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) stünden, so der Bundesrat, einer Entscheidung im Beschlusswege – insbesondere in den Fällen des § 72 Abs. 1 S. 5 OWiG-E – nicht entgegen.[9] Zwar räume Art. 6 Abs. 1 EMRK dem Betroffenen grundsätzlich das Recht ein, dass über gegen ihn erhobene Vorwürfe im Rahmen einer öffentlichen Sitzung verhandelt wird. Jedoch wären Einschränkungen dieses Rechts bei Ver...

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