VVG § 23 § 26 § 27
Leitsatz
1.
Der Einbau eines wesentlich leistungsstärkeren Motors und die anschließende Benutzung des Kraftfahrzeugs stellt eine – in der Regel grob fahrlässige – Gefahrerhöhung dar.
2.
Ist nicht auszuschließen, dass ein Unfall auf die stärkere Motorisierung zurückzuführen ist, darf der Versicherer seine Leistung um ⅔ kürzen.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.3.2020 – 5 U 64/19
Sachverhalt
Der Kl. unterhielt bei der Bekl. eine seit dem Jahr 2008 bestehende Vollkaskoversicherung für das Fahrzeug C. Bei dem versicherten Fahrzeug handelt es sich um ein Liebhaberfahrzeug. Bei Vertragsbeginn verfügte das Fahrzeug über einen Motor mit einer Leistung von 179 kW (= 243 PS), der bereits eine schnelle Beschleunigung und hohe Geschwindigkeiten ermöglichte, aber sehr reparaturanfällig war. Im März 2015 ließ der Kl. auf entsprechenden Rat durch eine Firma R., die auf das Tuning von US-Fahrzeugen spezialisiert ist, einen neuen Motor mit einer Leistung von 298 kW (= 405 PS) einbauen. Am 1.10.2015 befuhr der Kl. gegen 16.37 Uhr in S. den Tunnel des Hauptbahnhofs, wobei er wegen regen Verkehrs nur mit angepasster Geschwindigkeit fahren konnte. Als er das Fahrzeug vor der am Ende des Tunnels befindlichen Ampel verkehrsbedingt abbremsen wollte, rutschte er vom Bremspedal auf das Gaspedal, wodurch das Fahrzeug beschleunigte und an die Wand des Tunnels fuhr. Ein Sachverständigengutachten ermittelte unfallbedingte Reparaturkosten i.H.v. 23.248,88 EUR.
2 Aus den Gründen:
"… Das LG hat die anhand des unfallbedingten Fahrzeugschadens errechnete Versicherungsleistung zu Recht wegen einer von dem Kl. nach Abschluss des Versicherungsvertrages vorgenommenen Gefahrerhöhung gem. § 26 Abs. 2 S. 2 VVG um ⅔ gekürzt; weitergehende Ansprüche auf Kaskoentschädigung stehen dem Kl. aus dem Versicherungsvertrag nicht zu."
[Subjektive Gefahrerhöhung]
1. Nach § 23 Abs. 1 VVG, der auch im Rahmen der Fahrzeugversicherung Geltung beansprucht, darf der VN nach Abgabe seiner Vertragserklärung ohne Einwilligung des VR keine Gefahrerhöhung vornehmen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestatten. Durch die Bestimmungen der §§ 23 ff. VVG soll das Gleichgewicht zwischen Prämienaufkommen und Versicherungsleistung aufrechterhalten bleiben: Der VR soll nicht gezwungen sein, sich an einem Versicherungsvertrag festhalten zu lassen, obwohl sich die Risikolage so geändert hat, dass nach den Erkenntnissen der Versicherungsmathematik und den Grundsätzen der Versicherungstechnik die Erhebung einer höheren Prämie geboten gewesen wäre (…). Eine Gefahrerhöhung liegt vor, wenn nach Abschluss des Versicherungsvertrages eine Gefahrenlage eingetreten ist, bei welcher der VR den in Frage stehenden Versicherungsvertrag entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht zu der vereinbarten Prämie abgeschlossen hätte. Es kommt nicht auf einzelne Gefahrumstände an, sondern darauf, wie sich die Gefahrenlage im Ganzen seit der Antragstellung entwickelt hat. Dabei sind alle aus dem Parteivortrag ersichtlichen gefahrerheblichen Tatsachen in Betracht zu ziehen (BGH VersR 2012, 1300; OLG Hamm, VersR 2016, 249). Im Rahmen des § 23 Abs. 1 VVG muss der VN die Erhöhung der Gefahr außerdem willentlich, d.h. mit natürlichem Handlungswillen, vorgenommen oder gestattet haben (BGH, BGHZ 50, 385). Denn der Tatbestand der “subjektiven', “gewollten' oder “gewillkürten' Gefahrerhöhung ist nur erfüllt, wenn der VN die Gefahrenlage durch ein gewolltes Eingreifen verändert, mithin in dem Bewusstsein der vorgenommenen oder gestatteten Änderung der Gefahrenlage gehandelt hat; dass er auch den gefahrerhöhenden Charakter oder die Pflichtwidrigkeit dieser Umstände erkennt, ist hierfür aber nicht erforderlich (BGH VersR 2014, 1313; …).
2. Im Streitfall liegt eine bewusste, relevante Gefahrerhöhung durch den Kl. darin, dass dieser nach Abschluss des Versicherungsvertrages im März 2015 an Stelle des ursprünglichen 179 kW-Motors einen anderen Fahrzeugmotor mit einer wesentlich stärkeren Leistung von 298 kW einbauen ließ und das so in erheblicher Weise baulich veränderte Fahrzeug in Kenntnis dieses Umstandes bis zum Eintritt des Versicherungsfalles im Straßenverkehr benutzt hat.
a) Dass der Einbau eines anderen Fahrzeugmotors und die anschließende Benutzung des dergestalt in der Bauart geänderten Fahrzeugs eine beachtliche Gefahrerhöhung in der Fahrzeug-Kaskoversicherung darstellt, wenn die Leistung des neuen Motors und die daraufhin erzielbare Höchstgeschwindigkeit die des früheren Zustandes erheblich übersteigt, ist in der Rspr. und der versicherungsrechtlichen Literatur allgemein anerkannt (vgl. BGH VersR 1970, 412; 1990, 80; …). Ein solcher Eingriff in das sprichwörtliche Herz des Fahrzeugs verändert dessen Charakter in grundlegender Weise und bewirkt eine nicht unerhebliche (§ 27 VVG) Steigerung des Unfallrisikos sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach. Auch im Streitfall verhält es sich so. Zu Recht weist das – sachverständig beratene – LG in dem angefochtenen Urteil darauf hin, dass der neue Motor, dessen Leistung die des alten um rund ⅔ übe...